1. Ist die Lieferschwelle für mich als Online-Händler relevant?
Sie sollten auf jeden Fall Kenntnis über die Lieferschwelle laut UStG (Umsatzsteuergesetz) haben, wenn Sie
- Online-Handel innerhalb der EU betreiben
- innergemeinschaftliche Fernverkäufe betreiben, indem Sie Waren ins EU-Ausland versenden
- Waren an Privatpersonen (B2C) versenden
Die umgangssprachlich auch „Versandhandelsregelung“ (§ 3c UStG) genannte Vorschrift, in deren Kontext die Lieferschwelle relevant wird, wurde am 1. Juli 2022 durch die Fernverkaufsregelung ersetzt. Sie greift dann, wenn der Empfänger eine Privatperson oder „einer Privatperson gleichgestellt“ ist und eine gewisse Erwerbsschwelle (siehe unten) nicht überschreitet.
Was sind „Privatpersonen“ und „Privatpersonen Gleichgestellte“?
Als „Privatperson“ oder „einer Privatperson gleichgestellt“ wird im Zusammenhang mit der Versandhandelsregelung ein Empfänger bezeichnet, der einen innergemeinschaftlichen Erwerb (also den Empfang einer Ware aus und in einem EU-Land) nicht versteuern muss. Das können folgende Personengruppen sein:
- Personen, die keine Unternehmer sind
- Unternehmer, die nur für den Privatbedarf (also als Privatperson) bestellen
- Unternehmer, die ausschließlich umsatzsteuerfreie Umsätze haben
- Kleinunternehmer bzw. Anwender der Kleinunternehmerregelung
- Land- und Forstwirte, die die Durchschnittsabsatzbesteuerung nutzen
Jedoch müssen Onlinehändler auch bei innergemeinschaftlichen Fernverkäufen an solche Endkunden in anderen EU-Länder nicht jede Ware im Land des Empfängers selbst versteuern. Denn genau um diesen Aufwand zu verringern, gibt es die Lieferschwelle laut UStG: Erst nach deren Überschreitung (jeweils im laufenden Kalenderjahr) muss sich der E-Commerce Unternehmer selbst um die Besteuerung kümmern.
2. Wie hoch ist die Lieferschwelle?
Die Lieferschwellen waren in den verschiedenen EU-Ländern bis zum 30.06.2021 unterschiedlich hoch. Seit dem 1. Juli 2021 gibt es eine gemeinsame EU-weite Lieferschwelle. Sie beträgt 10.000 EUR netto pro Kalenderjahr. Bis zu diesem Wert können Waren mit dem heimischen Steuersatz belegt werden. Sobald die 10.000 EUR überschritten werden, wird der Onlinehändler in jedem EU-Land, in das er eine Ware verschickt, umsatzsteuerpflichtig und benötigt eine Umsatzsteuer-ID.
Rechenbeispiel: Die Lieferschwelle in der EU beachten und richtig versteuern
- Ein Onlinehändler versendet im Zeitraum Januar bis April Waren im Wert von 9.000 € zzgl. USt. in ein anderes EU-Land (das sogenannte „Bestimmungsland“), beispielsweise nach Italien. Die Umsatzsteuer wird bei der Berechnung der Lieferschwelle nicht berücksichtigt.
- Die EU-weite Lieferschwelle liegt bei 10.000 €. Im Juni desselben Kalenderjahres liefert der Händler erneut Waren im Wert von 2.500 € (insgesamt also 11.500 €) und überschreitet somit die Lieferschwelle um 1.500 €. Der gesamte Umsatz der Ware, deren Verkauf zur Überschreitung der Lieferschwelle geführt hat, muss nun bei der italienischen Finanzbehörde – mit der italienischen Umsatzsteuer – versteuert werden. Das gilt auch für alle Umsätze aus Warenlieferungen nach Italien im folgenden Kalenderjahr. Die Entgelte für Waren vor der Überschreitung der Lieferschwelle (und deren Umsatzsteuer) sind davon nicht betroffen.
Einfacher geht es, wenn sich der Onlinehändler für den One-Stop-Shop (OSS) registriert: Dann kann er seine EU-weiten Umsatzsteuerpflichten in Deutschland zentral an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) abführen. Das BZSt verteilt die fälligen Steuern an die jeweiligen EU-Länder.
3. Wann greift die Versandhandelsregelung nicht?
In folgenden Ausnahmefällen bleibt die Lieferschwelle unberücksichtigt – die Waren müssen also unabhängig von ihrem Wert sofort im Bestimmungsland besteuert werden:
- Verbrauchssteuerpflichtige Waren (z. B. Tabak, Alkohol) müssen ab dem ersten Umsatz im Empfängerland besteuert werden. Bei der Berechnung der Umsätze für die Lieferschwelle bleiben diese Entgelte unberücksichtigt.
- Das Gleiche gilt für neue Fahrzeuge. Auch hier greift die Lieferschwelle in der EU nicht.
Sonderfall: Holt der Empfänger die Ware selbst im Land des Lieferanten ab, spielt das Land des Empfängers dabei keine Rolle mehr. Somit wird die Ware im gleichen EU-Land verkauft und gekauft und unterliegt somit der Besteuerung in diesem Land. Es gilt das sogenannte „Herkunftslandprinzip“.
Wichtiger Hinweis: Auch für den Versand an Privatpersonen (und Gleichgestellte) greift die Fernverkaufsregelung nur dann, wenn der Empfänger eine gewisse „Erwerbsschwelle“ nicht überschreitet.
Was ist die Erwerbsschwelle?
Eine Privatperson (oder eine einer Privatperson gleichgestellte Person) darf innerhalb der Versandhandelsregelung Waren nur bis zu einem bestimmten Wert pro Kalenderjahr in Empfang nehmen. Wird diese sogenannte Erwerbsschwelle überschritten, so gilt der Empfänger im Kontext der Versandhandelsregelung als Unternehmer: Als Lieferant gelten für Sie dann die gleichen steuerlichen Regelungen wie im B2B-Bereich.
Die Höhe der Erwerbsschwelle ist, wie die Höhe der Lieferschwelle, ebenfalls vom Land des Empfängers abhängig und auf der Website der Europäischen Kommission („Threshold for application of the special scheme for acquisitions by taxable persons not entitled to deduct input tax and by non-taxable legal persons“) einsehbar.
Es ist außerdem sowohl dem Lieferanten als auch dem Empfänger möglich, auf die Anwendung der Erwerbsschwelle freiwillig zu verzichten. Als Online-Händler kann das für Sie sinnvoll sein, wenn der Umsatzsteuersatz im Bestimmungsland niedriger ist als in Ihrem eigenen Land. Dass der Empfänger auf die Anwendung der Erwerbsschwelle verzichtet hat (und also als Unternehmer zu behandeln ist), erkennen Sie in der Regel daran, dass er eine Umsatzsteuer-ID verwendet.
4. Was passiert, wenn die Lieferschwelle überschritten wird?
Selbst ein versehentliches Überschreiten der Lieferschwelle – und damit eine falsche oder gar nicht vorgenommene Steuererklärung – kann als Steuerhinterziehung und im schlimmsten Fall sogar als Straftat ausgelegt werden. Die steuerliche Registrierung im Empfängerland ist bereits dann vorzunehmen, wenn absehbar ist, dass die Lieferschwelle überschritten werden wird. Daher ist es äußerst empfehlenswert, sich als Online-Händler im EU-Gebiet steuerlich beraten zu lassen.
Wie führt ein Unternehmen die Umsatzsteuer ab, wenn die Lieferschwelle überschritten wurde?
Wird die Lieferschwelle überschritten, muss sich der Online-Händler bei der Finanzbehörde des jeweiligen EU-Landes steuerlich registrieren, alle weiteren Umsätze für das laufende Jahr und das Jahr darauf in diesem Land versteuern und dort auch seine Steuererklärung abgeben.
Um die Umsatzsteuerabfuhr auf europäischer Ebene zu erleichtern, wurde EU-weit der One Stop Shop (OSS) eingeführt. Auch mit dem OSS-Verfahren bleibt der bürokratische und zeitliche Aufwand jedoch hoch. Das gilt insbesondere für Onlinehändler, die am Amazon FBA Programm teilnehmen. Ein kompetenter Steuerberater für grenzüberschreitenden Lieferverkehr ins EU-Ausland ist daher dringend empfehlenswert.
5. Fazit: Nehmen Sie sich einen guten Steuerberater
Wenn Sie im Online-Handel tätig sind und Waren an Privatpersonen (oder ihnen Gleichgestellte) in andere EU-Ländern liefern, ist die Kenntnis der Lieferschwelle für Sie als Online-Händler unerlässlich. Auch eine versehentliche unbemerkte Überschreitung kann vom Finanzamt bereits als Steuerhinterziehung ausgelegt werden. Dies kann Nachzahlungen oder sogar Strafzahlungen nach sich ziehen.
Eine umfassende steuerliche Beratung ist daher unerlässlich. Unser Partner im Bereich Steuerberatung berät Sie kompetent zu allen Fragen rund um die Lieferschwelle der EU sowie zu weiteren steuerlichen Themen im Online-Handel.