KfW Publikumssieger 2024: Kochen gegen die Einsamkeit
Das Start-up Bio24 Social hat einen Ort geschaffen, an dem Menschen mit unzureichenden Sozialkontakten zusammenkommen und Suppen oder Saucen zum Verkauf herstellen. Dafür wurden die Mecklenburg-Vorpommern mit dem diesjährigen Publikumspreis der KfW ausgezeichnet.

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Bio24 Social
Einsamkeit ist weit verbreitet. Besonders groß ist sie in Mecklenburg-Vorpommern, sagt Maximilian Voß. Weil er und sein Bruder Philipp Koeppen etwas dagegen unternehmen wollten, haben sie das gemeinnützige Start-up Bio24 Social gegründet.
In einem umgebauten Schweinestall in Poppendorf bei Rostock stellen Ehrenamtliche nachhaltige Lebensmittel nach alten Rezepten her. Angeleitet werden sie dabei von einem angestellten Koch- und einem Konditormeister. Auch Philipp Koeppen, der früher als Teamleiter in Wohngruppen gearbeitet hat und daher mit dem Kochen vertraut ist, steht häufig in der Küche. Er ist in Vollzeit angestellt. Maximilian Voß hingegen ist als Ehrenamtlicher im Unternehmen tätig. Er arbeitet weiterhin an vier Tagen in der Woche im kaufmännischen Bereich. Doch so oft es geht, seiner Schätzung nach rund 20 Stunden in der Woche, kümmert er sich um alle administrativen Belange des Unternehmens. Er verwaltet die Buchhaltung, kümmert sich um Fördergelder oder die Webseite.
Die beiden Brüder, aufgewachsen in Rostock, haben sich nach der Schule für extrem unterschiedliche Berufe entschieden: Philipp Koeppen ist Sozialarbeiter, Maximilian Voß Groß- und Einzelhandelskaufmann mit der Weiterbildung Handelsfachwirt. Privat waren die beiden, 35 und 36 Jahre alt, aber immer eng verbunden. So kam es, dass sie eines Tages ein Magazinbeitrag über einsame Senioren angesprochen hat. Etwa zur gleichen Zeit begann der Krieg in der Ukraine. Die Brüder reisten hin, um zu helfen. Beide Themen gingen ihnen nahe und so beschlossen sie laut Maximilian Voß, „etwas gegen die Einsamkeit zu unternehmen und zudem Produkte zu produzieren, die wir in Kriegsgebiete schicken“. Sie gründeten Bio24 Social.
In Kriegsgebiete liefern sie ihre Produkte nicht. Der finanzielle Aufwand wäre zu dieser Zeit zu groß gewesen. Gegen die Einsamkeit aber haben sie in den gut zwei Jahren seit Bestehen ihres Start-ups schon eine Menge getan. „Zuerst dachten wir nur an Seniorinnen und Senioren“, sagt Voß. Doch die Erfahrung lehrte sie, dass auch vereinzelt jüngere Menschen gerne anpacken, um Abwechslung zu haben. „Sie erleben Teilhabe an der Gesellschaft“, sagt Voß.
Von nah und fern kommen die Freiwilligen nach Poppendorf, um Erdnusssauce, Kürbissuppe und Birnenaufstrich herzustellen oder Kuchen zu backen. „Ein Teilnehmer ist 350 Kilometer weit gefahren, um bei uns mitzumachen“, sagt Voß anerkennend. Die meisten Mitmachenden, zwischen 14 und über 80, kommen aber aus der Region.
Somit sind auch bereits Freundschaften entstanden, die über den Schweinestall hinausgehen: „Zwei Ehrenamtliche aus Rostock haben sich hier kennengelernt und festgestellt, dass sie in der gleichen Straße leben“, erzählt Voß. „Jetzt treffen sie sich hin und wieder an ihrem Heimatort.“ Trotzdem kommen sie weiterhin zum „Back & Schnack“ ins Umland, wie die Brüder ihr Konzept liebevoll nennen. Schnacken bedeutet im Norddeutschen so viel wie „sich miteinander unterhalten“.

Selbstverständlich wird in den mittlerweile drei Bio24-Küchen nicht nur geredet. Es werden Suppen, Kuchen oder Aufstriche in Bio-Qualität produziert. Rund 30 verschiedene Produkte sind es, so Voß. Die Rezepte hat das Brüderpaar selbst recherchiert. Nach und nach bringen die Teilnehmer eigene mit nach Poppendorf. Da der Frauenanteil mit rund 80 Prozent sehr hoch war, haben sich die Gründer entschieden, eine Ölpresse anzuschaffen, mit der seit geraumer Zeit auch etwa ein Chili-, Hanf- oder ein Sonnenblumenöl hergestellt werden. „Die Ölpresse spricht die Männer eher an“, erklärt Voß. Dennoch räumt er mit einem Vorurteil auf. „Nicht nur Omas sind die besten Köchinnen und Bäckerinnen der Welt. Opas sind es auch.“
Die Herstellung der Bio-Produkte erfolgt nicht nur, um Menschen zu beschäftigten. Sie werden verkauft. Das erfolgt zum einen über den Online-Shop, ferner im Dorfladen, der ebenfalls im umgebauten Schweinestall untergebracht ist, aber auch über den regionalen Einzelhandel. Im Laden werden, um alles für den täglichen Bedarf abdecken zu können, neben der Eigenmarke „Bio24“ auch Waren von anderen Herstellern aus der Gegend angeboten, etwa Softeis der „Eiswerkstatt“ aus Rostock, Spirituosen von „Maennerhobby“, zudem Klassiker wie Wurst, Käse, Eier, Milch und Butter.
Der Hofladen ist montags bis samstags rund sechs Stunden pro Tag geöffnet. Am Wochenende öffnet zudem das Café am Standort. Hier servieren in seltenen Fällen, etwa zum kürzlich veranstalteten Weihnachtsmarkt, manchmal auch die Brüder, vor allem aber angestellte Teilzeitkräfte die selbstgemachten Kuchen, die von Hand zubereiteten Aufstriche, die Brötchen, den Wurst, den Kaffee, den Tee oder die Säfte. „Das Café ist immer gut besucht“, sagt Voß. „Die Gäste lieben das Familiäre“. Und natürlich die biologisch hergestellten Produkte.
Um noch mehr fürs gemeinschaftliche Miteinander zu tun und weitere Einnahmequellen zu generieren, veranstaltet Bio24 zudem Koch- und Backkurse sowie Motto-Partys. „Jeden Mittwoch veranstalten wir ein gemeinsames Kochen von Jung und Alt für einen geringen Beitrag von fünf Euro pro Teilnehmer“, sagt Voß. Das werde sehr gut angenommen. Ferner bietet das Start-up professionelle Koch- und Backkurse an, Kneipenabende, zum Teil mit Live-Musik, Frauenfrühstücken, Mama-Tanzen, im Dezember einen Weihnachtsmarkt.

Gesellschaften können die Räumlichkeiten darüber hinaus für eigene Veranstaltungen buchen. Bislang wurde das schon mehrfach angenommen, etwa von Konzernen wie der Deutschen Post DHL Gruppe zu Teambuilding-Events, aber auch für private Feiern wie Hochzeiten, Geburtstage, Taufen oder Beerdigungen. Zur Verfügung stehen die Scheune mit einer Kapazität von bis zu 50 Personen. Das Café kann bis zu 30 Menschen beherbergen, in der Showküche ist für maximal 20 Leute Platz.
„Demnächst veranstalten wir eine Feier mit 80 Teilnehmern“, sagt Voß. „Das wird ein bisschen eng, geht aber.“ Die Auslastung der Veranstaltungsräume betrage im Sommer gut 80 Prozent, auch die Wochen vor Weihnachten seien sehr gut gebucht. „Nur in den ersten drei Monaten des Jahres könnte es besser sein“, sagt Voß.
Dennoch: Auch dieses Standbein läuft, und es ist wichtig. „Wir brauchen die Einnahmen“, erklärt Maximilian Voß die Aktivitäten. Bio24 muss Gehälter bezahlen, zudem die Aufwandsentschädigungen für die Freiwilligen. Außerdem sind die Aufwendungen für die Energie in einem produzierenden Gewerbe sehr hoch. „Wir müssen pro Monat rund 18.000 Euro an Kosten stemmen“, sagt der Gründer. Noch sei es jeden Monat ein Ritt auf der Rasierklinge, das Geld für die Ausgaben einzunehmen, geschweige denn einen Überschuss zu erzielen. Immerhin müssen die Brüder keine Zinsen bei der Bank bedienen. Sie haben 45.000 Euro eigenes Kapital eingebracht, als unverzinsten Eigenkredit. Aber: Auch der muss zurückgezahlt werden.
Die Brüder sind guter Dinge. Ihr Blick in die nahe Zukunft: „In zwei Jahren haben wir keine finanziellen Sorgen mehr.“ Vor allem aber wollen sie noch viel mehr helfen. Daher würden sie sich über Nachahmer freuen. Um mögliche Interessenten zu begeistern, bieten sie Beratungen an, halten Vorlesungen an Hochschulen in der Umgebung.
Vor allem aber engagieren sie sich im und fürs eigene Unternehmen. So hat Maximilian Voß kürzlich ein Förderprojekt mit der Fernsehlotterie in trockene Tücher gebracht. Das Resultat: Mitte nächstes Jahres bringt Bio24 ein Kochbuch mit traditionellen Rezepten heraus, anschließend folgen zwei Magazine. Die Publikationen werden kostenlos, etwa in Arztpraxen, verteilt.
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