Diese Start-ups treiben Deutschlands Digitalisierung voran
Digitale Lösungen kommen häufig aus den USA, doch auch in deutschen Start-ups steckt revolutionäres Potenzial. Wir stellen vier Gewinner des KfW Award Gründen 2020 vor, die mit digitalen Lösungen Menschen und Unternehmen helfen.
Angststörungen behandeln
Mit Sympatient können Patienten Angststörungen behandeln. Co-Founder Christian Angern erzählt, wie die Idee entstand:
Unser Mitgründer Julian hatte die Idee, als er am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein gearbeitet hat. Julian hatte schon die ersten VR-Systeme vor 10 Jahren auf dem Schirm.
Beschäftigt habe das junge Team die Frage, wie sich eine VR-Therapielösung in die Patientenversorgung bringen lasse. So fügten sich medizinisches und technisches Know-how zu einem Amalgam zusammen.
Christian zufolge lässt sich die Technologie ideal dazu verwenden, Angststörungen abzubilden und zu behandeln. Dabei geht es um drei Krankheitsbilder:
- Agoraphobie
- soziale Phobie
- Panikstörungen
Diese Störungen werden in der kognitiven Verhaltenstherapie mit Expositionsübungen behandelt, in denen die Patienten lernen, dass die Angst ihnen nicht schaden kann. Die Übungen lassen sich dank Sympatient auch virtuell mit einer VR-Brille durchführen.
Doch müssen die Patienten nicht allein durch den Prozess gehen:
Wir bieten die Therapie in Verbindung mit echten Psychotherapeuten an. Auf der anderen Seite ist man sehr flexibel, die Therapie in eigenem Tempo zu machen.
Für den Patienten gibt es drei Therapeuten-Kontakte: Zum Start der Therapie erfolgt die Diagnose, dann begibt er sich in die die Vorbereitung und Durchführung der Expositionsübungen mit 15 Stunden Video-Material mit real gedrehten Filmszenen sowie Bewegtbild von Psychotherapeuten. In der dritten Phase werden die Therapieerfolge besprochen.
Erstattet wird die Therapie von allen deutschen Krankenkassen, VR-Headset inklusive. Die Erstberatung ist kostenfrei.
Der Erfolg spornt die Gründer an, ihr Therapieangebot weiterzuentwickeln:
In Zukunft wollen wir die Bildschärfe der Filmszenen verbessern, damit sie noch realistischer werden.
Hilfe bei Insektenstichen
Juckende Insektenstiche können einem Sommerabende so richtig verleiden. Kamedi hat sich hierfür eine High-Tech-Lösung einfallen lassen, die jeder Smartphone-Nutzer in der Hosentasche mit sich tragen kann. Einen USB-Heater namens heat_it, der das Histamin an der juckenden Stelle gewissermaßen ausbrennt. Was gefährlich klingt, wurde in strengen medizinischen Prüfverfahren genehmigt und ist ein alltagstauglicher Segen, um Insektenstichen den Kampf anzusagen.
Co-Founder und CEO der Kamedi GmbH spricht über die Hürden, das Verfahren der sogenannten Hyperthermie in ein massentaugliches Produkt zu bekommen:
Das Wirkprinzip hat uns überzeugt, allerdings nicht die verfügbaren Produkte. Zu klobig, nie mit dabei und unflexibel. Also warum nicht das Smartphone nutzen, um einen solchen Stichheiler zu steuern, mit Energie zu versorgen und Zusatzfunktionen zu ermöglichen?
Die erste Erfolgsstation war ein studentischer Erfinderwettbewerb, von dort aus wurdet der heat_it immer beliebter:
Der heat_it ist bei vielen tausend Kunden schon im Alltag angekommen und im Sommer unentbehrlich.
Neben der Nachhaltigkeit des wiederverwendbaren Anti-Insektenstich-Sticks punkten auch die ortsnahe Produktionsweise:
Eine Besonderheit ist sicherlich, dass wir den heat_it in eigener Produktionsanlage bei uns in Karlsruhe selbst herstellen. Lange Transportwege entfallen also und höchste Qualität und Sicherheit kann garantiert werden.
Die Regionalität der Produktion soll bestehen bleiben, doch die internationalen Märkte und neue Produkte haben die ambitionierten Gründer längst im Blick:
Bis die ganze Welt in den Genuss des juckreizfreien Sommers kommt, ist es noch ein langer Weg. ;) Gleichzeitig sind wir Erfinder und Ingenieure durch und durch, es wird also sicherlich nicht unser letztes Produkt sein.
Wartung und Reparatur wie im Science-Fiction-Film
Das Unternehmen oculavis SHARE stellt eine Lösung für den Remote Support zur Verfügung. Mittels AR-Brille kommunizieren Service-Techniker vor Ort mit der Zentrale, senden und empfangen Daten und können so die Zeit und den Umfang von Wartungsprozessen erheblich verringern.
Die Idee entstand in einer renommierten Forschungseinrichtung, wie Geschäftsführer Martin Plutz erklärt:
Am Fraunhofer Institut haben wir 2014 angefangen, an der damals recht neuen Technologie der Datenbrillen zu forschen und industrielle Use Cases aufzubauen.
Erste Lizenzierungen der damals entwickelten Software hätten gezeigt, dass die Zeit für den Schritt in ein eigenes Unternehmen gekommen war. Im Mai 2016 ging es dann offiziell los mit der Gründung der oculavis GmbH. oculavis, so Plutz weiter, definiere die Art und Weise neu, wie Menschen mit Maschinen, Anlagen und Prozesse interagieren.
Dazu sagt der diplomierte Wirtschaftsingenieur:
Unsere Lösung besteht aus Remote Assistance, Schritt-für-Schritt Anleitungen und dem Augmented-Reality-Modul. Integrierte Dokumentationsmöglichkeiten und ein sehr flexibles Management von Nutzern und Berechtigungen ermöglicht es unseren Kunden, ihre realen Abläufe auf neue Art in unserer Lösung abzubilden.
Mit Erfolg, wie die Jury der KfW fand, sie ernannte oculavis zum Landessieger Nordrhein-Westfalen. Auch die Wirtschaftstauglichkeit ist beim Unternehmen gegeben:
Die Mehrwerte unserer Lösung liegen in der Einsparung von Reisekosten, der Reduzierung von bisweilen sehr teuren Anlagenstillständen und der Möglichkeit für unsere Kunden, auf Basis unserer Lösung digitale Geschäftsmodelle zu kreieren.
Erzielbare Einspar- und Produktivitätspotenziale lägen regelmäßig im zweistelligen Prozentbereich im Vergleich zum Status quo.
An den Erfolgen der Gegenwart will oculavis mit Weiterentwicklungen und erhöhter Kompatibilität anknüpfen:
Wir haben noch sehr viele Ideen und Pläne, unsere Lösung weiter zu entwickeln. Etwa die Integration von Features, die auf künstlicher Intelligenz basieren wie z. B. das Verpixeln von Gesichtern in Bildern oder Videos, die in unserer Lösung erzeugt werden. Auch die Integration in bereits bestehende IT-Infrastruktur beim Kunden ist eines der Dinge, an denen wir bereits dran sind.
Virtuelle Räume für Mensch und Maschine
Die rooom AG schafft virtuelle, dreidimensionale Räume. Das bietet viel Potenzial für die unterschiedlichsten Branchen, beispielsweise im Immobilien- oder Automotive-Sektor. Hierfür ist die schnelle Verarbeitung großer Datenmengen und zahlreicher Kundenanfragen erforderlich. rooom begegnet dieser Herausforderung professionell, wie Gründer Hals Elstner erläutert:
Wesentlich ist unsere starke Plattform, die mit Servern auf der ganzen Welt (u.a. in China) international aufgestellt ist und dadurch vergleichsweise sehr hohe Besucherzahlen verkraftet. Das hebt uns wesentlich von anderen Systemen ab.
Weiterhin sei die flexible Komplettlösung außerdem sehr automatisiert und ermöglicht es Nutzern, sich eigenständig zurechtzufinden.
Es ist zum Beispiel möglich, einen 3D-Messestand nach den Daten des Messebauers nachzubauen, einen Musterstand im eigenen CD zu gestalten oder auch etwas vollkommen Neues zu entwerfen.
Viele der Inhalte lassen sich dabei selbst gestalten und mit wenigen Klicks einrichten, fast wie bei Sims, so Elstner.
Es können sogar 3D-Modelle mit rooom entwickelt werden, was normalerweise nur kostenintensiv durch Agenturen geschieht. Auch aus Fotos lassen sich solche Modelle erzeugen und umrechnen, die Datenmenge für ein solches Modell fällt hierfür überraschend klein aus:
Ein Fahrrad beispielsweise, als lebensechtes 3D Model, ist in unserem System mit gerade mal 1,4 MB bereit für die Online- und AR-Nutzung. Ein zweidimensionales Foto auf dem Smartphone hingegen nimmt 5-6 MB ein.
Erwähnenswert seien Elstner zufolge vor allem die Geschwindigkeit, der unglaubliche Technologiebackground ihrer Lösungen und besonders kleine Dateitypen, die ohne Plugins und Zusatzsoftware direkt im Browser funktionieren.
Die Vorteile für den Verbraucher liegen auf der Hand:
Durch das plastische Darstellen von Produkten aus allen Perspektiven im Onlineshop erhält der Kunde eine klare Vorstellung davon, was ihn erwartet.
Mittels Augmented Reality könne der Kunde das Produkt dann direkt aus dem Shop zu sich nach Hause projizieren, ohne dafür eine zusätzliche App installieren zu müssen. Er weiß dann auf den Zentimeter genau, wie groß das Produkt ist und wie es aussehen wird. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde kauft und senkt die Retourenquoten. Insgesamt bringt das einen Mehrwert sowohl für das Unternehmen und den Kunden als auch für die Umwelt mit sich.
Bereits jetzt zeigt sich die vielfältige Einsetzbarkeit der rooom-Technologie bei Onlineshops. Doch auch für Messen ist das Prinzip hoch interessant. So erklärt Elstner:
Die Messen der Zukunft werden hybrid sein. Viele Messegesellschaften arbeiten an einem dauerhaft einsetzbaren hybriden Konzept. Das zeigen die aktuell eingehenden Anfragen deutlich.
Beinahe jedes Event werde mit zusätzlichen digitalen Inhalten ausgestattet werden. Das spare vielen Menschen Zeit und Reisekosten und erhöhe die Reichweite einer Messe enorm.
Eine hybride Messe bringt enorme Vorteile in der Vor- und Nachbereitung eines Messebesuches mit sich, indem man beispielsweise genau weiß, wo sich ein virtueller Messestand befunden hat und so selbst nach der Messe noch einmal dorthin zurückkehren kann.
Nachweislich steige die Teilnehmeranzahlen auf solchen Messen dadurch um das vier- bis Fünffache.
Für das Jahr 2021 sieht rooom ein starkes Wachstum der Plattform vor, sowohl in Bezug auf die internationale Reichweite (weit über 1 Millionen Besucher) als auch auf die Entwicklung neuer Funktionen.
Die 3D Erstellung soll beispielsweise vereinfacht werden und direkt über das Smartphone möglich werden. Dabei wollen wir uns auch auf dem internationalen Markt platzieren und unsere Komplettlösung in anderen europäischen Ländern sowie den USA anbieten.
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