Hey, Nachbar: Dieses Soziale Netzwerk verbindet Fremde, die Tür an Tür wohnen
Hand aufs Herz: Wie viele eurer Nachbarn kennt ihr persönlich? Und nein, das Zunicken auf der Türschwelle zählt nicht. Gerade in größeren Städten kennen sich viele Menschen namentlich höchstens vom Klingelschild. Das Soziale Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de möchte das ändern. Ina Remmers, Mitgründerin und Geschäftsführerin, erklärt, wie das genau funktioniert und was nebenan.de von anderen Social Networks unterscheidet.
GründerDaily: Hallo Ina, du bist Mitgründerin bei nebenan.de und seit Kurzem auch Mitglied der Geschäftsführung. Stelle uns dich und deinen Werdegang doch bitte kurz vor.
Ina von nebenan.de: Meine beruflichen Wurzeln liegen in der Marken-Entwicklung und Kommunikation. Als studierte Wirtschaftspsychologin hat mich schon immer „das Ganze“ interessiert, wie der Psychologe so schön sagt. Neben diversen Stationen Kreativ- und Designagenturen, war ich viele Jahre als selbstständige Markenberaterin und Kommunikationsstrategin tätig und habe parallel für meinen 2003 gegründeten Verein Junge Helden gearbeitet – was ich bis heute tue.
Vor ungefähr 12 Jahren habe ich meinen Mitgründer Till Behnke kennen und schätzen gelernt. Über ihn kam dann auch der Kontakt zu Christian Vollmann, der uns von seiner Idee erzählte, mit Hilfe einer digitalen Plattform Nachbarn wieder verstärkt miteinander in Austausch zu bringen. Ich war sofort begeistert und verantworte seitdem die gesamte Kommunikation für nebenan.de.
GründerDaily: Was hat sich seit der Berufung in die Geschäftsführung für dich geändert? Welche neuen Herausforderungen gehen damit einher?
Ina von nebenan.de: Wir haben nicht von einem Tag auf den anderen alles auf den Kopf gestellt. Im Gegenteil.
Das Wachstum von nebenan.de und die damit einhergehenden Veränderungen sind im Vergleich zu anderen Start-ups sehr organisch.
Auch meine Verantwortung und mein Wirkungsbereich sind mit der Firma gewachsen. Für mich ist es auch heute noch selbstverständlich, mit meinen Stärken da anzupacken, wo es nebenan.de in der jeweiligen Phase voranbringt. So betreue ich neben der Kommunikation und dem Hilfe-Team seit einiger Zeit auch die Themen Personal, Nachbarschaftsaktivierung, Engagement und Online-Marketing.
Besonders wichtig ist mir dabei natürlich der Austausch mit unseren Mitarbeitern. Denn bei mittlerweile rund 70 Teammitgliedern sind sie es, die im Tagesgeschäft viel Verantwortung tragen und unsere Vision teilen und vertreten müssen.
GründerDaily: Die Plattform nebenan.de ist ein Soziales Netzwerk für Nachbarn. Was heißt das genau?
Ina von nebenan.de: Über die Plattform können sich Nachbarn unkompliziert kennenlernen, sich gegenseitig helfen, zu Aktivitäten verabreden, Dinge teilen und verschenken – und das ganz lokal in ihrem Viertel. Dabei haben nur verifizierte Nachbarn - also Personen, die auch wirklich vor Ort wohnen - Zugang zur Plattform. Für Privatpersonen ist und bleibt die Plattform kostenlos, wenngleich wir mit unserem sogenannten Förderprogramm seit knapp einem Jahr private Nachbarn die Möglichkeit geben, die Plattform mit einem kleinen Betrag pro Monat zu unterstützen.
Seit Anfang des Jahres können auch lokale Gewerbetreibende, gemeinnützige Organisationen und Städte und Gemeinden über die Plattform mit Nachbarn kommunizieren. Denn eine Nachbarschaft besteht ja aus sehr viel mehr als nur aus den Anwohnern: Wir möchten allen wichtigen Akteuren von Nachbarschaften eine Stimme geben und miteinander in den Austausch bringen.
GründerDaily: Wer ist euer typischer Nutzer? Wie erreicht ihr diesen?
Ina von nebenan.de: Zunächst sind wir ja alle Nachbarn – mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen und Bedürfnissen hinsichtlich Nachbarschaft. Wir sind daher zunächst einmal sehr glücklich, dass sich diese Vielfalt auch bei uns auf der Plattform wiederfindet. Es begegnen sich Jung und Alt, Eingesessene und Zugezogene sowie Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensmodellen oder Weltsichten. Das brauchen wir in unserer Gesellschaft, nachdem die Algorithmen uns immer fleißig nur mit Gleichgesinnten verbunden haben.
Exemplarisch für nebenan.de Nutzer und wirklich spannend ist beispielsweise, dass bei uns viele Menschen über 50 - und gerne auch mal bis 90 - aktiv sind.
Hinzu kommen junge Familien mit Kindern. Ein toller Mix! Außerdem wohnt ein Großteil unserer Nutzer in mittelgroßen bis großen Städten – was aber einfach daran liegt, dass natürlich dort der Empfehlungseffekt besonders groß ist, wo wir bereits eine große Nutzerbasis haben. Dass nebenan.de auch auf dem Land funktioniert, zeigen viele Beispiele.
GründerDaily: Wie viele aktive Nutzer habt ihr?
Ina von nebenan.de: Aktuell haben wir deutschlandweit rund 1,3 Millionen aktive Nutzer und wir freuen uns, dass die Nutzerzahl täglich und kontinuierlich zunimmt.
GründerDaily: Womit verdient ihr euer Geld?
Ina von nebenan.de: nebenan.de ist und bleibt für Privatpersonen kostenlos. Im Gegensatz zu anderen sozialen Netzwerken verzichten wir bewusst darauf, Daten personenbezogen auszuwerten, auf dieser Basis Werbung auszuspielen und diese Informationen an Dritte weiterzugeben.
Bisher finanzieren wir uns durch Fremdkapital, unter anderem durch den Burda Verlag. Um die Plattform in Zukunft langfristig, transparent und fair betreiben zu können, verfolgen wir eine Refinanzierungsstrategie, die auf drei Säulen fußt:
- Freiwillige Förderbeiträge: Das „Förder-Modell“ ermöglicht es Nutzern von nebenan.de, den transparenten und nachhaltigen Betrieb der Plattform durch einen freiwilligen monatlichen Förderbeitrag in Höhe ihrer Wahl zu unterstützen.
- Einbindung von lokalem Gewerbe: In Nachbarschaften ansässige Gewerbetreibende können nebenan.de gegen eine Gebühr nutzen, um Nachbarn auf ihre Angebote aufmerksam zu machen. Die Platzierung gewerblicher Inhalte erfolgt auf Basis des nachbarschaftlichen Bezugs und nicht auf Basis personenbezogener Präferenzen. Nutzer können störende Inhalte jederzeit melden.
- Einbindung von Städten und Gemeinden: Städte und Gemeinden können mit nebenan.de kooperieren und die sogenannten „Organisationsprofile“ der Nachbarschaftsplattform gegen eine Gebühr nutzen, um Anwohner zielgerichtet über ihre Aktivitäten zu informieren. So werden Bürgernähe und digitale Teilhabe gestärkt.
GründerDaily: Ihr konntet auch bereits mehrere namhafte Investoren von nebenan.de überzeugen. Welches Interesse haben diese an einem Nachbarschaftsportal, das auf personalisierte Werbung verzichtet?
Ina von nebenan.de: Das klingt fast ein wenig so, als hätten Investoren immer nur Interesse an Nutzerdaten. Wir konnten unsere Investoren von der langfristigen und ja, auch der sozialen, Idee eines Nachbarschaftsportals überzeugen.
Wir sind vielleicht nicht das Investment, mit dem man innerhalb von zwei Jahren Profit macht, aber unsere Investoren haben Lust mit uns eine ganz neue Art soziales – nämlich ein wirklich soziales – Netzwerk zu kreieren.
Dass auch wir unsere Kosten decken und wie jeder, auch im privaten Bereich, einen aufgenommenen Kredit zurückzahlen muss, ist selbstverständlich. Daran arbeiten wir, tragen es aber eben nicht auf dem Rücken der Nutzer aus. Das schätzen unsere Investoren und unterstützen uns dabei.
GründerDaily: In der Vergangenheit konnten wir bereits den Aufstieg und Fall verschiedener Sozialer Netzwerke beobachten. Beispiele sind SchülerVZ und Google+. Was macht ihr anders, weshalb werdet ihr euch halten?
Ina von nebenan.de: Wie gerade kurz angedeutet. Mit nebenan.de haben wir nicht einfach ein weiteres, globales Social Network gegründet, sondern uns ganz gezielt auf das lokale Umfeld spezialisiert. Wir verbinden Menschen über alle Schichten hinweg, wir sind low tech, verzichten auf Algorithmen, bekennen uns zu deutschem Datenschutz und zahlen hier auch unsere Steuern… all das sind mehr oder weniger kleine und für die Nutzer entscheidende Unterschiede. Diese Sensibilität ist im Vergleich zu StudiVZ-Zeiten in den vergangenen Jahren auch stark gestiegen.
GründerDaily: Deutschlands Gründerszene ist noch immer in erster Linie männlich. Woran liegt das aus deiner Sicht? Hast du in der Szene schon einmal Negativerfahrungen aufgrund deines Geschlechts machen müssen? Wie geht man mit so etwas um?
Ina von nebenan.de: Tatsächlich nein. Unterschiede, zum Beispiel im Führungsstil, stelle ich aber natürlich schon fest. Bei uns bin ich sehr froh über die männlich-weiblich kombinierte Führungsriege. Denn wir haben alle unsere Stärken, die so optimal zum Tragen kommen. Natürlich müssen wir Missstände, die ganz offensichtlich existieren, diskutieren und offen benennen. Insgesamt habe ich jedoch manchmal den Eindruck, dass uns das übermäßige Geschlechtergerede auch in gewisser Weise lähmt und uns daran hindert, sich auf das tatsächliche „Doing“ zu konzentrieren.
Mir fehlt hier also oft auch ein wenig die Zuversicht und das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen für diese Problematik.
Eine für mich entscheidende Maßnahme – an der alle arbeiten sollten, die in Führungspositionen und im Personalbereich sind - sind gemischte Teams. Denn je häufiger wir auf Teams stoßen, die nur aus Männern oder Frauen bestehen, umso beständiger nähren wir die Vorurteile.
So bin ich stolz darauf, dass bei nebenan.de die Hälfte der Teamleitungen weiblich sind und auch ein Drittel unserer Produkt- & IT-Abteilung weiblich ist. Und zwar weil sie allesamt fachlich und menschlich top sind!
GründerDaily: Vielen Dank für das Gespräch, Ina. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg!
Keyfacts über nebenan.de
- Gegründet im Jahr: 06/2015
- Firmensitz in: Berlin
- Unser aktuelles Team besteht aus:
- Geschäftsführer: Christian Vollmann, Till Behnke, Ina Remmers
- Gründer: Christian Vollmann, Till Behnke, Matthes Scheinhardt, Ina Remmers, Michael Vollmann, Sven Tantau
- Mittlerweile beschäftigt die Firma hinter nebenan.de, die „Good Hood GmbH“ in Berlin, mehr als 70 Mitarbeiter. Die meisten sind Software-Entwickler oder Teil des Hilfe-Teams, das Nachbarn unterstützt.
- Die erste Finanzierung erfolgte durch/über: Als Start-up wird über Investoren finanziert. Zu diesen gehören unter anderem der Burda Verlag sowie der Risikokapitalgeber Lakestar.
- Besonders geholfen haben mir/uns bisher: Alle Nachbarn, die unsere Plattform nutzen und auch immer wieder den direkten Kontakt zu uns suchen, um uns wertvolles Feedback zu geben und Wünsche zu äußern, wie die Plattform im nachbarschaftlichen Sinne noch besser werden kann.
- Besonders wichtig im Arbeitsalltag sind für mich/ uns folgende:
- Menschen: Unsere Nachbarn, die Kolleginnen und Kollegen und meine Mitgründer
- Tools: Sprache ist mein wichtigstes Tool