Steuern ohne Touchscreen, Schreiben ohne Stift: Dieses Start-up hat die Lösung

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Augmented Reality wird immer wichtiger - auch für die Industrie. Genau hier setzt Kinemic mit einer Software zur Gestensteuerung an. Das Karlsruher Start-up ermöglicht die Bedienung digitaler Geräte mit Hilfe von AR-Brillen oder Smartwatches. In dieser Gründerstory erzählt Gründer Tomt Lenz u.a. von den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Software, der Investorensuche, den nächsten Meilensteinen und wie es ist, als Forscher ins Unternehmerlager zu wechseln.

 

Für-Gründer.de: Hallo Tomt, mit euren Interaktionslösungen für digitale Geräte wollt ihr Augmented Reality industrietauglich machen. Kannst du uns genauer erklären, wie eure Produkte aussehen und wo sie eingesetzt werden können?

Tomt Lenz von Kinemic: Klar! Insgesamt entwickeln wir Software zur Gestensteuerung. Die Software funktioniert auf Augmented-Reality-Brillen, aber auch stand-alone, wenn man also ein Terminal, PC oder Laptop mit Gesten bedienen will.

Das Besondere bei uns ist, dass wir dafür nicht Kameras verwenden, sondern Wearables, die man am Handgelenk trägt, wie zum Beispiel eine Smartwatch. Besonders nützlich ist das, wenn man Handschuhe trägt oder viel unterwegs ist – oder beide Hände frei haben muss, um Werkzeuge oder andere Sachen zu halten.

Derzeit stellen wir unseren Kunden aber nicht nur diese Kernsoftware bereit, sondern helfen auch bei der Integration in die Apps und Prozesse beim Kunden – für viele Unternehmen ist die Gestensteuerung gerade im industriellen Umfeld ein komplett neues Feld und oftmals eröffnen wir ganz neue Perspektiven, wo und wie man digitale Unterstützung einsetzen kann. Neben dieser industriellen Anwendung sind wir mit Stabilo noch in der Entwicklung von neuen Nutzungsmöglichkeiten für einen digitalen Stift, was eher im Consumerbereich spielt.

Mit der Software von Kinemic lassen sich digitale Geräte mit einfachen Gesten steuern (Bildquelle: Kinemic).

Für-Gründer.de: Wenn ich das richtig verstanden habe, treibt ihr zusammen mit euren Industriekunden eure Produktentwicklung weiter voran. Welche Rolle spielt dabei das von euch auf der CeBIT vorgestellte Evaluation Package?

Tomt Lenz von Kinemic: Wir haben oft das Feedback erhalten, dass man gerne mal eine Gestensteuerung mit einem eigenen Prototyp oder Demonstrator aufbauen würde – und genau das ist jetzt kostengünstig möglich. Wir erhoffen uns natürlich, dass diese neue Art der Geräteinteraktion die Entwickler, Anwender und Entscheider in den Unternehmen genauso begeistert wie uns und unsere Software noch breitere Anwendung findet. Für Forschungseinrichtungen und Tüftler haben wir auch günstigere Versionen im Angebot und sind einfach gespannt, was damit entwickelt wird.

Für-Gründer.de: Euer erklärtes Ziel ist es, dass eure Produkte dauerhaft in Montagelinien eingesetzt und somit Fabrikbetriebe komplett auf Augmented Reality umgestellt werden. Welche Rückmeldungen habt ihr bisher für dieses ambitionierte Vorhaben von euren Kunden?

Tomt Lenz von Kinemic: Für viele Unternehmen ist der Einsatz von AR ein spannendes Thema, an dem auch aktiv geforscht wird, da haben wir also ein ziemlich positives Feedback. Neben der manchmal unzureichenden Hardware wird derzeit allerdings auch noch die Interaktion mit der Brille bemängelt. Aber genau dieses Problem können wir beheben. Wir sind mittlerweile soweit, dass wir mit unserer Software die Brillen besser steuern können, als es quasi mit Bordmitteln möglich ist.

Insgesamt ist es aber durchaus so, dass wir mit dem Thema AR eher die Early Adopter ansprechen, weshalb unsere Stand-alone-Lösung ebenfalls sehr wichtig ist.

Denn so können wir beispielsweise dabei helfen, papierbasierte Prozesse weg zu bekommen oder die Terminalbedienung zu vereinfachen. Und das sind Probleme, bei denen vielen, auch kleineren Unternehmen, heute der Schuh drückt.

Für-Gründer.de: Tomt, hast du für unsere Leser vielleicht ein, zwei ganz konkrete Beispiele für eure Produkte?

Tomt Lenz von Kinemic: Im Bereich AR-basierte Lösungen haben wir ein sehr umfangreiches Projekt zur Unterstützung von Instandhaltungstechnikern umgesetzt, die nun eine Smart Glass komplett freihändig bedienen können und so zum Beispiel durch Prozessabläufe navigieren, Videos steuern oder Notizen eintragen können – ohne je einen Knopf drücken zu müssen.

Stand-alone-Lösungen für die Bedienung von Handarbeitsplätzen haben wir mit verschiedenen Kunden bereits umgesetzt. Hier geht es meist um die Vereinfachung der Bedienung von Maschinen oder Prozessen, die vorher aufgrund zum Beispiel aufgrund von hygienischen Bedingungen wie Handschuhpflicht oder einer dreckigen Arbeitsumgebung wesentlich komplizierter waren.

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Für-Gründer.de: Auf der Hannover Messe habt ihr den Gründerpreis Digitale Innovation verliehen bekommen. Was hat euch die Teilnahme an diesem Wettbewerb gebracht?

Tomt Lenz von Kinemic: Neben dem Preisgeld und ein paar schönen Fotos haben wir auch von der medialen Aufmerksamkeit profitiert. Für uns als Team war es auch wichtig in einem so umkämpften Wettbewerb mit über 300 Bewerbungen an vorderer Stelle zu stehen.

Für-Gründer.de: Ein weiterer großer Erfolg für euch ist sicher die Aufnahme in den DB mindbox Accelerator. Warum habt ihr euch für dieses Programm entschieden und was erwartet ihr davon?

Tomt Lenz von Kinemic: Besonders verlockend ist der direkte Zugang zu den relevanten Personen bei der Bahn und die damit verknüpfte Betreuung. Wir sind gerade mitten im Programm und setzen mit der DB zusammen eine entsprechende Anwendung auf, die unsere Technologie nutzt. Diese Anwendung können wir in sehr kurzen Feedbackschleifen weiterentwickeln und wir sind recht überzeugt davon, dass der so entstehende Prototyp viel Mehrwert für die Bahn bietet. Bei den Bahngesellschaften kommen viele Punkte zusammen, die den Einsatz unserer Technologie interessant machen: Mobiler Einsatz, oft widrige Umweltbedingungen, freihändige Nutzung, etc.

Dazu kommt: Wenn wir bei der DB ein wichtiges Problem lösen können, dann gibt es sehr viele Bahngesellschaften, die vermutlich ein ähnliches Problem haben. Das ist für uns als Unternehmen natürlich sehr spannend.

Für-Gründer.de: Als ehemalige Studenten und Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) habt ihr EXIST-Forschungstransfer in Anspruch genommen. Welche Erfahrungen habt ihr mit diesem Förderprogramm gemacht?

Tomt Lenz von Kinemic: Nur positive - Wir sind immer voll des Lobes für das EXIST-Programm. Klar sind es etwas höhere Hürden bei der Antragstellung und es gibt etwas Bürokratie bei der Abwicklung, aber das steht in keinem Verhältnis zu der finanziellen Unterstützung, die man erhält und wenn man es ernst meint mit der Unternehmensgründung dann sollte die Antragstellung sowieso kein Hindernis sein.

Wenn man also förderfähig ist und eine Firma gründen will, dann muss man meines Erachtens nicht mehr überlegen. Der einzige Kritikpunkt, der mir bisher zu Ohren gekommen ist, ist dass die IP beim Forschungsinstitut verbleibt und man entsprechende Lizenzen verhandeln muss – ob das ein Problem darstellt, muss man wahrscheinlich von der jeweiligen Einrichtung abhängig machen, bei uns war es bisher keins.

Für-Gründer.de: Was habt ihr in puncto Finanzierung nach Auslaufen der EXIST-Förderung geplant? Seid ihr bereits auf Investorensuche?

Tomt Lenz von Kinemic: Wir erwägen derzeit, Investoren „mit ins Boot“ zu holen, haben aber noch keine definitive Entscheidung getroffen. Abgesehen davon gibt es im EXIST-Programm noch eine zweite Phase, für die wir uns natürlich auch bewerben.

Auf die Bedienung digitaler Geräte mit Hilfe von AR-Brillen oder Smartwatches setzt das Team von Kinemic (Bildquelle: Kinemic)

Für-Gründer.de: Ihr habt Kinemic im März 2016 gegründet. Welche Meilensteine habt ihr euch für die kommenden Monate gesetzt?

Tomt Lenz von Kinemic: Unser SDK (Software Development Kit), mit dem man die Gestensteuerung einfach in die eigene Anwendung integrieren kann, bleibt ein großes Thema. Ursprünglich wollten wir dieses bis Ende 2017 veröffentlichen, durch die Projekte im Umfeld unseres Evaluation Packages schiebt sich dieser Termin nun aber vermutlich etwas nach hinten. Wir erwarten auch, dass wir gemeinsam mit unseren Kunden noch weitere Anwendungsszenarien erschließen und arbeiten daran die Technologie auf Serienreife zu bringen. Außerdem steht ein Umzug in neue Räumlichkeiten an.

Für-Gründer.de: Welche Tipps habt ihr für andere Wissenschaftler, die aus der Hochschule heraus gründen wollen? Was sollte man beim Übergang vom Forscher zum Unternehmer unbedingt beachten?

Tomt Lenz von Kinemic: Ich glaube, für uns war sehr wichtig, dass wir sehr früh an Kunden herangetreten sind und hier den Dialog gesucht haben.

Idealerweise ist das Produkt auch nicht mehr zu weit vom „Markt“, also mindestens einem zahlungskräftigen Anwender, entfernt – je mehr nutzbare Kontakte man hier aus der Forscherzeit mitbringt, desto einfacher fällt auch der Start.

Für uns war auch hilfreich, dass wir relativ autark waren, denn unsere Professorin hatte einen Ruf an eine andere Universität erhalten, wir sind aber trotzdem am KIT geblieben. Somit war uns auch von Anfang an klar, dass ein Überleben als verlängerte Instituts-GmbH ausgeschlossen ist und wir schnell Umsätze generieren müssen. Letztlich ticken die Akademiker- und Unternehmer-Welten oft anders und man muss für sich und sein Team rausfinden, wo man ein Delta hat und inwiefern man das ändern muss oder will.

Für-Gründer.de: Tomt, vielen Dank für den spannenden Einblick und viel Erfolg weiterhin!

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