Kehrwoche im Web 2.0: alles für den guten Ruf!

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Für viele Unternehmen sind die sozialen Medien aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken: Informationen werden gestreut, Kunden akquiriert, eine Fanbase aufgebaut. Anfangs herrscht meist Euphorie, da Facebook & Co. zahlreiche Möglichkeiten für Unternehmen bieten. Doch was mache ich eigentlich, wenn jemand im Web (zu Unrecht) schlecht über mich redet? Wie entferne ich fehlerhafte Informationen von anderen Seiten? Und wie gehe ich vor, wenn ich mich wieder aus den Social Media verabschieden möchte? Lars Niggemann von der Agentur Netzhygiene gibt Tipps.

 

Für-Gründer.de: Viele Agenturen sind darauf spezialisiert, Social Media-Strategien für Unternehmen zu entwickeln, Kanäle aufzubauen und diese dann mit Content zu füllen. Sie bieten einen Service an, der es ermöglicht, Kanäle wieder loszuwerden. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Social Media hieß das Zauberwort der letzten Jahre und der Run der Unternehmen hinein in die sozialen Netzwerke war enorm. Doch eine Präsenz im Social Web ist nicht für jedes Unternehmen von Erfolg gekrönt.

Erste Plattformen schwächeln und manche Firma merkt nach der Anfangseuphorie, dass eine gepflegte dialogorientierte Kommunikation vor allem Arbeit bedeutet. Da steht dann bisweilen eine Fortführung des Engagements in Frage.

Ich fand es daher eine interessante Idee, meine Erfahrungen aus den Bereichen des Online-Reputation-Managements und der Online-Krisenkommunikation zu nutzen, um Unternehmen bei der Schließung eines Kanals konzeptionell und operativ zu unterstützen.

Lars Niggemann von Netzhygiene Lars Niggemann ist Gründer und Geschäftsführer von Netzhygiene (Foto: Netzhygiene).

Für-Gründer.de: Haben Sie Beispiele dafür, wann es nötig sein kann, sich aus den Social Media wieder zurückzuziehen?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Erfolgreiches Social Media-Management ist aufwendig, erfordert Kreativität sowie redaktionelles Geschick – und das täglich. Viele Unternehmen sind dafür nicht bereit, scheuen die nötigen Investitionen, wundern sich dann über schlechte Followerzahlen, verlieren die Lust und hinterlassen letztendlich eine Social Media-Brache und damit einen schlechten Eindruck – bei Kunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern.

Neben wirtschaftlichen Gründen können aber auch die Änderung der Kommunikationsstrategie oder die Entwicklung der gewählten Plattform Gründe für einen Ausstieg sein.

Beispiel Google Plus: Als die Plattform vor vier Jahren unter dem Motto „Create a social network or risk everything" startete, hegten viele die Hoffnung auf ein zweites, „seriöseres" Facebook. Mittlerweile scheint das Ende der Plattform nahe. Google selbst hat kürzlich erst beschlossen, die Kopplung von Google Services an den Google Plus-Account aufzulösen: Das kann als Zeichen in diese Richtung gewertet werden.

Für-Gründer.de: Wieso ist es gar nicht so einfach, Social Media-Accounts vollständig zu eliminieren?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Nun, wer austritt, lässt Fans und Freunde zurück. Die fühlen sich bisweilen von diesem Schritt enttäuscht, immerhin haben sie – wenn auch auf einer virtuellen Plattform – dem Unternehmen ihre Sympathie bekundet.

Daher gilt: So freundlich und offen wie man einst um Fans und Besucher geworben hat, so freundlich und offen sollte man sich auch aus der Gemeinschaft verabschieden. Wer sich klammheimlich aus dem Staub macht, riskiert den Unmut der Community und einen negativen Nachruf im Social Web.

Ein Ausstieg sollte angekündigt und nachvollziehbar begründet werden. Hier ist Einfühlungsvermögen, eine transparente Kommunikation und die Wertschätzung der Kommunikationspartner gefragt. Darüber hinaus muss man bedenken, dass Verweise zum früheren Account, beispielsweise in Suchmaschinen, auch nach der Eliminierung des Accounts weiter bestehen.

Für-Gründer.de: Welche Leistungen übernehmen Sie für Kunden, die sich aus dem Social Web verabschieden möchten?

Lars Niggemann von Netzhygiene: So ein Abschied ist immer eine ganz individuelle Sache. Deswegen beginnt das Leistungsspektrum bei der Sichtung und Bewertung der Lage, Plattform, Zusammensetzung der Community, Dialoghistorie und Aktivität. Auf Basis der Bestandsaufnahme wird dann eine Social Media Exit-Strategie entwickelt. Diese umfasst die zeitliche und organisatorische Planung sowie die Entwicklung möglicher Szenarien. Gemäß der Exit-Strategie werden dann Abläufe, Botschaften sowie Sprachbausteine entwickelt und in die redaktionelle Planung integriert.

Zudem muss im Vorfeld die Frage beantwortet werden, welche alternativen Kommunikationswege das Unternehmen der Community in Zukunft anbietet. Schließlich möchte man Fans und potenzielle Kunden nicht verlieren. Ist der Kanal gelöscht, werden Überbleibsel, also tote Verweise oder Spiegelungen gesichtet und entsprechende Löschanträge gestellt.

Für-Gründer.de: Fernab von den eigenen Accounts ist es auch wichtig zu wissen, was auf anderen Seiten und Plattformen über ein Unternehmen gesprochen wird. Was können Sie Unternehmen hierbei für Tipps mit auf den Weg geben?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Ein Web-Monitoring sollte zum Werkzeugkasten eines jeden Unternehmens gehören. Hierfür eignet sich beispielsweise der kostenlose Dienst Google Alerts, den wirklich jeder, der sich aktiv im Internet bewegt, nutzen sollte – auch zur Überwachung seiner persönlichen Daten. Selbstverständlich gibt es auch kostenpflichtige Dienste, die einen größeren Umfang und diverse Möglichkeiten zur Auswertung bieten. Ob sich die Nutzung lohnt, muss im Einzelfall entschieden werden.

Entscheidend für die Qualität eines Monitorings ist die Auswahl der richtigen Keywords. Man sollte möglichst konkrete Begriffe wählen und nicht zuviel überwachen wollen – im Wust des „Beifangs" kann schnell wichtiges untergehen. Da Social Media-Kanäle technisch schwer zu monitoren sind, sollte man seine Kritiker und Konkurrenten kennen und ihnen folgen, um sie im Blick zu behalten. Dafür kann man selbstverständlich auch Spezialisten engagieren.

Für-Gründer.de: Shitstorms oder Beleidigungen sind in der anonymen Onlinewelt leider keine Seltenheit. Was sollte ein Unternehmer in den ersten Schritten tun, wenn er in solch eine Situation gerät?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Zunächst einmal gilt es, die Ruhe zu bewahren und die Situation möglichst kühl und rational zu erfassen. In vielen Fällen ergreift die eigene Fanbase zügig Partei, was jedoch keinesfalls davon befreit zu reagieren, sondern lediglich etwas Zeit verschafft. Für eine kontrollierte Reaktion rate ich dazu, sich möglichst emphatisch in den oder die Angreifer hineinzuversetzen: Was sind die Beweggründe für den Angriff? Wer sind die Angreifer und welche Ziele werden verfolgt? Das sind zentrale Fragen, deren Beantwortung weiterhilft.

Vor allem sollte man seine Emotionalität im Zaum halten und den Aggressor nicht mit unnötig viel Aufmerksamkeit wichtig nehmen. Andererseits darf die fundierte Reaktion auch nicht zu lange auf sich warten lassen, dies suggeriert Unsicherheit.

Am besten fährt daher, wer sich gut vorbereitet hat. Im Sinne der Netzhygiene sollten sich Unternehmen im Vorfeld für mögliche Szenarien wappnen und entsprechende Reaktionen und Statements in der Schublade liegen haben.

Für-Gründer.de: Und was ist über den akuten Shitstorm hinaus relevant?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Dieser wirklich plakative Begriff setzt sich nicht umsonst aus den Begriffen „Shit" und „Storm" zusammen. Der Sturm der Entrüstung wütet meist unkontrolliert und die dialogischen Absonderungen verteilen sich im Netz und bleiben an der einen oder anderen Seite kleben. Das Schadenpotenzial entfaltet ein Shitstorm nicht zwingend nur auf der Präsenz der Betroffenen, sondern bei der Ausweitung auf andere Kanäle, auch außerhalb des Social Webs.

Spuren des Sturms rutschen zwar auf der eigenen Chronik nach hinten, doch Suchmaschinen bringen sie immer wieder nach vorne. Nach einem Shitstorm empfiehlt sich eine Bestandsaufnahme und Schadensbewertung. Haben sich Beschimpfungen und Beleidigungen auf fremden Kanälen und in Suchmaschinen verbreitet, sollte der Einzelfall genau geprüft und eine Reaktion abgewogen werden.

Wer versucht, dem Gegner plump den Mund zu verbieten, wird rasch mit dem Vorwurf der „Zensur" konfrontiert. Dieses Ass spielen Hobby-Querulanten gerne aus, um einen erneuten Sturm zu provozieren.

Im Fall von haltlosen Vorwürfen und Beleidigungen auf redaktionell geführten Portalen hilft oft ein sachlicher Hinweis an die Administratoren, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Für-Gründer.de: Netzhygiene ist nicht in den Social Media zu finden. Kommt das noch oder bleiben Sie hier aus Prinzip fern?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Netzhygiene ist gerade zur Mitte des Jahres an den Start gegangen. Da kann sich manches noch entwickeln und aufbauen. Andererseits ist es bisweilen gut, als graue Eminenz im Hintergrund zu wirken. Schließlich erwarten unsere Kunden, dass wir uns um ihre Accounts kümmern, nicht um unsere. Ein Friseur schneidet sich auch nicht selbst die Haare.

Für-Gründer.de: Wovon hängt es Ihrer Meinung nach ab, ob ein Unternehmen überhaupt in die Social Media gehen sollte oder nicht?

Lars Niggemann von Netzhygiene: Entscheidet sich ein Unternehmen für den Weg ins Social Web, so muss es bereit sein, konsequent in den Dialog mit der Community zu treten und der Gemeinschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Natürlich will die Gefolgschaft auch unterhalten werden.

Die Währung im Social Web sind gute Inhalte, die einen Mehrwert bieten. Es sollte also vorher gründlich überlegt werden, ob offener Dialog zur Firmenphilosophie passt, ob man regelmäßig Mehrwerte bieten kann und was das Engagement unternehmerisch bringen soll.

Folgende Fragen helfen, ungepflegte und verwaiste Kanäle, verpixelte Header-Grafiken sowie Chronik-Wüsten aus Pressemeldungen und Werbeanzeigen im Vorfeld zu vermeiden:

  • Ist meine Zielgruppe im Social Web unterwegs? Wenn ja, auf welchen Kanälen?
  • Was ist das unternehmerische Ziel hinter meinen Social Media-Aktivitäten?
  • Welche Ressourcen brauche ich, um erfolgreich zu sein?
  • Bin ich für einen offenen Dialog und entsprechender Transparenz bereit?
  • Kann ich redaktionelle Mehrwerte bieten?
  • Und schließlich die zentrale Frage: Lohnt sich der Aufwand für mein Unternehmen?

Für-Gründer.de: Vielen Dank für das Interview, Herr Niggemann.

Mehr zum Thema Öffentlichkeitsarbeit lesen Sie auf Für-Gründer.de. Hilfreiche Tools für Ihre Social Media-Kanäle haben wir hier zusammengestellt. Tipps rund ums Storytelling lesen Sie in diesem Interview.

 

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