Bewerberauswahl durch Software und KI

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Best Practice

Gute Fachkräfte sind der Schlüssel zum Erfolg. Wir zeigen, mit welchen Methoden Start-ups die besten Kandidaten aus ihren Bewerbern herausfischen.

 

bewerberauswahl 1200 Ihr könnt neuen Mitarbeitern nicht in die Köpfe schauen. Aber auf anderem Wege herausfinden, ob sie zu eurem Unternehmen passen. Auch mit Hilfe von Software und KI. (Foto: Unsplash)

90 Mitarbeiter beschäftigt das vor zweieinhalb Jahren gegründete MedTech-Start-up inveox mit Hauptsitz in Garching bei München. Vor einem Jahr waren es erst 30. Für Head of Talent Nora Kraus und ihr neunköpfiges Personaler-Team bedeutete das eine große Herausforderung. „Der Höhepunkt war das dritte Quartal 2018“, sagt sie. „Da hatten wir 40 Stellen gleichzeitig offen.“ 40 Stellen, die alle optimal besetzt werden sollten.

Große Schwierigkeiten, gutes Personal zu finden

Nicht nur in Start-ups mit einem Hyper-Wachstum ist es eine der wichtigsten und gleichzeitig eine der herausforderndsten Aufgaben, geeignete Mitarbeiter zu finden. Immerhin zwei Drittel aller Top-50-Start-ups geben an, dass es „schwierig“ ist, neues Personal zu akquirieren, weitere sechs Prozent erachten es gar als „sehr schwierig“.

Doch nicht nur das Rekrutieren von Mitarbeitern ist eine Herkules-Aufgabe. Möglichst viele Bewerbungen auf den Tisch zu bekommen, ist das eine. Entscheidend ist, aus diesem mehr oder weniger hohen Stapel die richtigen Kandidaten auszuwählen. Jene, die das nötige Wissen mitbringen und außerdem ins Unternehmen passen. Dabei müsst ihr den Spagat bewältigen, einerseits den passendsten Bewerber für die jeweilige Stelle herauszufiltern und andererseits diesen Prozess so effizient wie möglich zu gestalten.

Genau daran hapert es in vielen Unternehmen, sagt Kim Körber, Co-Founder von inga. Das Frankfurter Start-up hat eine Software entwickelt, die es seinen Kunden ermöglichen soll, „in nur wenigen Klicks aus passiven Talenten aktive Kandidaten zu machen“. Die Software unterstützt Personaler beim „Sourcing, Screening und Finding“ von Bewerbern.

Laut Körber betreiben die Unternehmen häufig zu viel Aufwand, um den richtigen Kandidaten zu finden. So sagt er:

Sie lassen die Bewerber durch zehn brennende Reifen springen.

Ein Reifen, um im Bild zu bleiben, dafür aber der richtige, wäre besser. Und effizienter. So Körber weiterhin:

Es geht darum, die relevanten Fragen zu stellen.

Außerdem „eindeutige Fragen“: welche Ausbildung, wie viele Jahre Berufserfahrung etc.

Nicht alles lässt sich in der Bewerberauswahl standardisieren

Gleichzeitig würden Prozesse, die standardisiert werden könnten, nicht standardisiert, sagt Körber. Selbstverständlich plädiert er dafür, dies zu tun. Somit wäre der Aufwand der Personalverantwortlichen nochmals geringer.

Laut Kim Körber lassen sich ca. 80 Prozent aller Prozesse standardisieren, „alles, was nicht mit Empathie zu tun hat". Das sind vor allem alle administrativen Angelegenheiten. So kann die Maschine zum Beispiel mit einem Kandidaten, der nach dem ersten Screening als erfolgversprechend gilt, automatisch einen Termin für ein Telefon- bzw. persönliches Gespräch ausmachen.

Einem Kandidaten, der nicht in die engere Auswahl kommt, kann man dann mit zwei Klicks eine Absage verschicken. Für die erste Bewerberauswahl wiederum braucht man laut Körber keinen Lebenslauf durchlesen. Besser ist, fünf bis zehn standardisierte, „Lebenslauf-relevante" Fragen zu stellen. Z. B.: welcher Studienabschluss, welche Ausbildung, wie viele Jahre Berufserfahrung, Kenntnisse in Technologie xy. Diese als Ankreuz-Fragen/multiple choise. So lässt sich alles schnell per Computer auswerten. Die Software erstellt im Handumdrehen ein Scoring.

Körber beschreibt das optimale Herangehen mit der 80/20-Regel: 80 Prozent der Prozesse könne man standardisieren. Die restlichen 20 Prozent müssten individuell erfolgen. Diese seien allerdings die entscheidenden, um herauszufinden, ob der Bewerber der Richtige für die Position ist. Diesen Part nennt Körber den „emotionalen“: Man könnte den Interessenten zum Beispiel auffordern, ein Motivationsschreiben zu verfassen. Die Aussagekraft sei enorm.

Persönlich kennenlernen und Beziehungen frühzeitig aufbauen

Eine gute Alternative ist –  so macht es inga bei den eigenen Leuten – die aussichtsreichen Bewerber zum „Teamtag“ einzuladen und ihnen eine „knifflige Aufgabe“ zu stellen. Bei diesem Treffen können sich alle Mitarbeiter ein Bild der potenziell Neuen machen – und ihr Veto einlegen, wenn sie Zweifel haben. Schließlich ist es gerade in Start-ups wichtig, dass alle harmonieren und gut zusammenarbeiten können.

Den Cultural Fit abzuklopfen sei elementar, sagt auch Personalleiterin Kraus von inveox. Und sie sagt ebenfalls:

Man kann nicht sofort vom Blatt ablesen, ob der Bewerber unsere Wertevorstellungen teilt.

Daher erfolgt der Auswahlprozess in mehreren Schritten: Bezüglich der Rollenpassung orientiert sich inveox an einem „präzisen Erwartungshorizont“, einer Art Raster, das zur objektiven Vorauswahl genutzt wird.

„Ohne dieses geht es nicht“, sagt Kraus. Denn auf diese Weise lässt sich zuverlässig und effizient feststellen, ob der Bewerber die gewünschten fachlichen Anforderungen mitbringt. Falls das Anforderungsprofil nicht erfüllt wird, fragt man den Bewerber, ob er gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt oder für eine andere Position angesprochen werden möchte. So sagt Kraus:

Wir setzen auf nachhaltige Beziehungen, auch bei den Talenten.

Nachdem eine erste Auswahl getroffen wurde, „freuen wir uns, die Kandidaten telefonisch kennenzulernen“, sagt sie. Der Vorteil bei inveox: Das Unternehmen hat Kern-Werte definiert. Im Gespräch fragt man die Interessenten, wie sie diese in ihrem Arbeitsalltag mit Leben füllen würden. Einer dieser Werte lautet „act like you own it“, also, im übertragenen Sinn: Handle wie ein Unternehmer zum Wohl der Firma.

„Stellt man die richtigen Fragen gezielt, genügen manchmal bereits 30 Minuten, um sich einen ersten fundierten Eindruck zu verschaffen“, sagt Kraus. Aussichtsreiche Bewerber werden dann zum persönlichen Gespräch mit Vertretern der Fachabteilung eingeladen. Die fundamentalen Schritte aber seien jene davor, so Kraus.

Mit modernen Methoden herausfinden, ob der Mitarbeiter zum Unternehmen passt

Das sieht Martin Beischl, Personalchef bei riskmethods, genauso. Es gehe darum, so schnell wie möglich zu erkennen, ob der Bewerber zum Unternehmen und seinen vier großen Werten passt. Einer dieser Werte lautet: „Get stuff done“. Beischl setzt daher seit knapp zwei Jahren auf die Video-Bewerbung. Jeder Interessent kann sich mit einem kurzen Video vorstellen.

Schon daran, dass ein Bewerber von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, erkennt das Start-up, dass er tendenziell passt. Zum einen erfüllt er die Anforderung „get stuff done“. Hinzu kommt, wie Beischl sagt:

Wir sehen, ob der Bewerber IT-affin und innovativ ist und zudem bereit, aus seiner Komfortzone herauszutreten.

Da man all dies „voraussetzt“, ist klar, wie man jemanden, der sich der modernen Technologie verweigert, einstuft. Und da die Sichtung eines zweiminütigen Filmchens weitaus schneller geht als ein halbstündiges Telefoninterview zu führen, wie man es früher gemacht hat, ist das auch noch eine Zeitersparnis für die Personaler.

Zwei weitere effiziente Filtermöglichkeiten gibt es beim Münchener Start-up mit mehr als 150 Mitarbeitern. Erstens: Der Interviewer fragt den Bewerber, was er in seinem Arbeitsumfeld braucht, um zufrieden zu sein. „Die Antwort zeigt, ob man selbst überhaupt der richtige Arbeitgeber ist“, sagt Beischl.

Und dies sei wichtig, wenn man den Kandidaten langfristig im Unternehmen halten wolle. Zweitens: Man bittet den Bewerber, eigene Fragen loszuwerden. Auch hier trennt sich schnell die Spreu vom Weizen: Wer hauptsächlich „generische“ Fragen stellt und erst spät aufs Inhaltliche kommt, ist nicht der optimale zukünftige riskmethods-Mitarbeiter.

Wie KI die Bewerberauswahl unterstützen kann

Immer mehr Firmen bieten die Bewerbung per Video an. Sie können sich somit schnell einen Eindruck von dem Kandidaten verschaffen. Wer noch einen Schritt weiter geht, setzt bei der Bewerberauswahl auf Künstliche Intelligenz, zum Beispiel auf die Software des Start-ups retorio. Sie analysiert das menschliche Kommunikationsverhalten aus den Videodaten.

Die Aufnahmen werden vor allem daraufhin analysiert, in welcher Geschwindigkeit und mit welcher Stimmlage der Proband spricht, welche Wörter, insbesondere, welche Pronomen er verwendet, welche Gestiken er macht. Daraus leitet die Software Charakteristika ab – etwa, ob der Bewerber offen, extrovertiert, energetisch, emotional stabil, gewissenhaft, zuverlässig, verträglich, reflektierend, einfühlsam etc. ist.

Möglich ist das, weil das System selbstständig lernt. Die Software wurde mit zehntausend Beispielvideos gefüttert. Noch zögern die meisten Unternehmen, Künstliche Intelligenz bei der Bewerberauswahl einzusetzen. Es besteht die Sorge, dass die Maschine den Menschen ersetzt. Dem ist aber nicht so. Die Video-Analyse soll die Einschätzung des Personalers lediglich ergänzen.

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