Wild darauf, die Welt aufzuräumen

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Best Practice

Müll soweit das Auge reicht. Die Gründer und Gründerinnen von Wildplastic holen weltweit Plastikmüll zurück in den Recyclingkreislauf und produzieren daraus Müllbeutel. So wird die Umwelt sauberer und Müllbeutel aus Neuplastik werden vermieden. Das nächste Ziel des KfW Award Sonderpreisträgers 2022: 1.000 Tonnen.

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Plastikmüll ist nicht gleich Plastikmüll: Bevor er recycelt werden kann, muss er sehr gut vorsortiert werden. (Bild: Katja Hanzl)

"Ich stand hüfthoch im Müll", berichtet Christian Sigmund, Co-Founder und CEO von Wildplastic, von seiner Reise in Peru, als ein Sturm eine Schlammlawine ins Tal rollen ließ und damit einen illegalen Müllberg. Ähnliche Erfahrungen haben auch die anderen Gründer und Gründerinnen von WILDPLASTIC gemacht. Das brachte die Idee ins Rollen.

Wildes Plastik ist Plastik, das sich in der Umwelt befindet oder auf dem Weg dorthin ist. Gerade in Ländern wie Ghana, Nigeria, Indonesien und Indien kommt dies in großen Mengen vor. Vieles davon kann wieder verwertet werden. "In Ghana gibt es zum Beispiel 200ml-Trinkwasserbeutel, die an jeder Straßenecke getrunken werden. Dieses Folienplastik lässt sich wie viele andere Plastiksorten wiederverwenden", erklärt Christian. "Wir wissen oft, was das Plastik im vorherigen Zyklus war. Wir sorgen für die Lieferkette für wildes Plastik, um es zurück in den Kreislauf zu holen." Wildplastic gelingt dies, in dem sie aus dem alten Plastik Mülltüten herstellen. Doch so einfach, wie es klingt, ist es nicht.

Plastikmüll als Wertstoff

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Aus dem Granulat aus wildem Plastik entstehen in Deutschland Müllbeutel. (Bild: Jonas Wresch)

2019 hat sich eine ganze Gründergruppe mit Christian zusammengetan, die alle bereits ihre eigenen Erfahrungen mit wildem Plastik oder der Kunststoffindustrie gesammelt hatten. Sie erlebten Müllkippen in Asien oder sammelten Müll in Spanien auf, zwei kommen beruflich aus dem Kunststoffbereich, kennen sich mit dem Designen von Kunststoffprodukten aus sowie mit dem Produktionsverfahren von Kunststoff, berichtet Christian.

Uns als Gründer vereint Offenheit, Herz und Verstand, das Problem der Umweltverschmutzung anzugehen sowie Wege zu finden, Neuplastik zu vermeiden.

Um ihre Mission umzusetzen, setzte das Gründerteam gedanklich an zwei Punkten an. Zum einen gibt es das wilde Plastik überall auf der Welt, welches zurück in den Kreislauf geführt werden soll. Zum anderen wird die ganze Zeit neues Plastik produziert 450 Millionen Tonnen jährlich und gelangt damit früher oder später in Teilen in die Umwelt. "Kunststoffe werden noch eine Weile gebraucht. Wenn so viel davon in der Umwelt liegt, sollte dies wieder verwendet werden und man braucht dann weniger Öl und Gas aus der Erde dafür holen", so Christian.

Der Weg dorthin ist lang und herausfordernd. Es benötigt Müllsammler und -sortierer, Recyclingunternehmen, Lieferketten und passende Strukturen, um die große Vision umzusetzen. Und natürlich die Endverbraucher, die die Müllbeutel aus dem wilden Plastik erwerben. "Wir möchten die Menschen mit auf diese Reise nehmen. Jeder kann mitmachen und ein Teil der Lösung sein."

Nächstes Ziel: 1.000 Tonnen

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Das Team von Wildplastic hat Großes vor. (Bild: Jonas Wresch)

Und so startete das Wildplastic-Gründerteam vor drei Jahren mit einem Container voll gesammelten Plastikmüll aus Haiti quasi als Prototypen , den sie zurückholten. Es klingt einfach, aber das ist es nicht. "Der Müll muss bereits gut sortiert sein, die lokale Infrastruktur ist wichtig und wir brauchen gute Recycler, die das wilde Plastik verarbeiten können", erklärt Christian. Und dies mussten sie alles zunächst finden und aufbauen. "Wir haben bereits über 200 Tonnen Plastikmüll zurückgeholt. 1.000 Tonnen sind das nächste Ziel."

Dafür arbeiten sie mit lokalen Müllsammlern und Organisationen zusammen. Um eine neue Partnerschaft aufzubauen, wird zunächst ein Container gesammelt und geschaut, wie recyclingfähig der Kunststoff darin ist. "Wir haben einen neuen und großartigen Partner in Indien sowie auch vor Ort einen in Thailand gefunden", gibt Christian Einblicke. "Je lokaler die Kreisläufe, desto glücklicher sind wir."

Der Großteil an gesammeltem wilden Plastik wird in Portugal recycelt und das daraus entstandene Granulat wird in Deutschland zu den Müllbeuteln verarbeitet. "Es ist so viel und harte Arbeit. Monatelang arbeiten wir mit der Organisation zusammen, bereiten Prozesse auf, schauen, dass der Müll gut vor Ort sortiert wird und erst dann in die Container kommt.

Wir arbeiten seit drei Jahren daran, die Prozesse zu stabilisieren, um den Wertstoff zurückzubringen.

Die Vision ist groß. Das mittel- und langfristige Ziel wäre es, lokale Organisationsstrukturen zu schaffen, um Trennungssysteme für Kunststoff, Metalle und organischen Müll zu schaffen, um diese sinnvoll weiter verarbeiten zu können oder für die Energieversorgung zu verwenden. "Dafür suchen wir nach sinnvollen Verbindungen mit Produzenten, Recyclern, Kreislaufwirtschaftsexperten und Materialexperten", betont Christian. "Es braucht nicht nur viele, sondern alle von uns. Alleine können wir die Probleme nicht lösen." 

Ähnliche Sicht auf die Welt

Für Wildplastic arbeiten mittlerweile 17 Personen die eine Hälfte in Hamburg, die andere remote. "Unser digitaler Kalender ist die Quelle der Wahrheit", schmunzelt Christian. Eine Menge Tools wie Slack, Notion und ein ERP-System erleichtern die Zusammenarbeit.

Wir haben nur alle zwei Wochen ein Teammeeting für die großen Entwicklungen und führen viele bilaterale Meetings für die inhaltliche Arbeit in der Woche.

Stück für Stück wächst Wildplastic und ist klar in die vier Kreise Supplychain, Produkt, Kommunikation & Marketing sowie Vertrieb eingeteilt. 

So einfach wie die heutigen Strukturen klingen, war es in den letzten Jahren während der Corona-Zeit nicht. "Wir hatten sehr viele Herausforderungen gleichzeitig", blickt Christian zurück. "Eine Gründung an sich ist super hart. Wir mussten jedoch parallel eine neue globale Lieferkette und eine Marke aufbauen." Die Startfinanzierung bestand aus einer Bankenfinanzierung und später folgte die Rekapitalisierung. "Noch sind wir nicht gänzlich profitabel. Sind aber auf einem guten Weg dahin."

Resilienz und Bewusstheit sowie frühzeitiges Anpassen hat ihnen geholfen, durchzustehen. "Ganzheitlich ist wichtig", betont Christian. "Wir sind ein unverkäufliches Unternehmen, das nicht auf einen Exit abzielt."

Mittlerweile kooperieren sie auch mit anderen Social-Start-ups und früheren Preisträgern des KfW Award Gründen. Mit everwave sammeln sie Plastik ein und das Toilettenpapier von Goldeimer ist in das recycelte Plastik verpackt. "Sie haben eine ähnliche Sicht auf die Welt wie wir. Gerade mit everwave sind wir eng mit den Themen verbunden und mit Goldeimer auch persönlich befreundet."

"Wir haben eine gute Antwort für die Zukunft"    

"Immer wieder gab es die Momente, in denen wir uns fragten, wie sollen wir das wuppen?", sagt Christian. Gerade in Krisenzeiten fallen Lieferanten weg und Prozesse stocken. Nun gelte es, sich für die Zukunft zu wappnen. Die Öl- und Gaskrise hat auch viel mit Kunststoff zu tun. Die Lieferketten geraten ins Wanken und Alternativen werden gebraucht. "Wir haben unendlich viele Rohstoffe und könnten Milliarden Tonnen zurückholen", so Christian. "Da haben wir eine gute Antwort für die Zukunft."

Die nahegelegenen Ziele sind nun, mit allen Partnern und Lieferanten eine gute und stabile Beziehung sowie die Prozesse weiter aufzubauen.

Den Erfolg messen wir in geretteten Tonnen und suchen nach weiteren Lösungen, in welche neuen Produkte wir das wilde Plastik konvertieren können.

"Der Impact ist unser Nordstern", erklärt Christian die Ausrichtung ihres Start-ups. Beim Nordstern geht es darum, von Anfang an den richtigen Kurs auf ein erfolgreiches Unternehmen zu legen. "Auszeichnungen wie der KfW Award Gründen bestärken einen darin, den Weg mutig und konsequent weiterzugehen und Herausforderungen zu wagen."

Seine Tipps für Gründer: Nur das machen, an was man glaubt – egal wie verrückt die Idee ist. Sucht euch ein starkes Team, alleine ist es schwieriger.

Wenn eure Fähigkeiten komplementär sind, setzt es Energien frei.

Wichtig sei es, die Wirksamkeit der Lösung zu kennen. "Für Scheinlösungen ist keine Zeit", so Christian. "Für Wildplastic haben wir eine Lebenszyklusanalyse für unsere Produkte gemacht." Und Wildplastic wächst und ist immer auf der Suche nach Menschen, die anpacken wollen von der Produktentwicklung bis hin zur Verfahrenstechnik.

Die Fragen, die man sich immer stellen sollte: Was kann ich tun? Was kann ich vermeiden? "Wie wäre es daher, zu Geburtstagen oder anderen Festen mal Mülltüten zu verschenken, die nicht aus Neuplastik sind?", gibt Christian zum Abschluss mit auf den Weg. "Das eröffnet Diskussionen und so geht die Nachricht immer weiter, dass jeder etwas tun kann, um die Umwelt zu regenerieren."

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