Smartphones nachhaltig bauen
Smartphones sind unsere ständigen Begleiter. Sobald das neueste Modell auf den Markt kommt, landet das alte Gerät meist in einer Schublade. SHIFT-Gründer Samuel Waldeck sieht diese verschwenderische Handhabe kritisch und setzt sich für mehr Nachhaltigkeit im Smartphone-Business ein. Wie das genau aussieht und weshalb das Unternehmen fast vor dem Aus stand erfahrt ihr in dieser Gründerstory.
GründerDaily: Hallo Samuel. Shift produziert nachhaltige Smartphones. Inwiefern kann ein Smartphone überhaupt nachhaltig sein?
Samuel von Shift: Hallo. Nachhaltigkeit erzielen wir beispielsweise durch unser modulares Designkonzept. SHIFTPHONES sind leicht zu öffnen und kostengünstig reparierbar. Jeder kann selbst den Akku tauschen, das Display erneuern, das Kameramodul wechseln und vieles mehr. Damit erreichen wir, dass unsere Geräte möglichst lange beim Besitzer bleiben und nicht – dem aktuellen Durchschnitt entsprechend – im Zwei-Jahres-Takt durch ein neues ersetzt werden müssen, nur weil der Akku schwächelt oder das Display einen Sprung hat.
Auch mit Konzepten wie unserem Gerätepfand, der Hardware-Upgrade-Option und anderen innovativen Ideen versuchen wir dem hohen Elektroschrottaufkommen entgegenzuwirken, Verpackungsmüll zu vermeiden und auch an anderen Stellen Gutes zu tun und dabei keinen Schaden anzurichten.
GründerDaily: Du hast eben die modulare Bauweise der SHIFTPHONES angesprochen, durch die eure Smartphones selbstständig repariert werden können, um die Lebensdauer der Geräte zu erhöhen. Wie funktioniert das genau?
Samuel von Shift: Das SHIFT6m ist das derzeit modularste Smartphone weltweit. Es besteht aus vielen Modulen, die durch den Kunden selbst ersetzt werden können.
Designt wurde es nach Reparaturstatistik.
Demnach können die Bestandteile mit dem höchsten Verschleißgrad beziehungsweise der höchsten Defektanfälligkeit, schnellstmöglich ausgetauscht werden. Das Backcover lässt sich ohne Werkzeug entfernen, ebenso der Akku. Auch SIM- und SD-Karten sind sofort erreichbar. Das Display ist mit mehreren Schrauben befestigt. Alle im SHIFTPHONE verbauten Schrauben besitzen die gleiche Länge und lassen sich mit dem beiliegenden Torx-Schraubendreher bedienen.
GründerDaily: Wie lange unterstützt ihr die Smartphones mit Updates etc.? Und was passiert, sobald dieser Support aufhört?
Samuel von Shift: Wir möchten unsere SHIFTPHONES mindestens über einen Zeitraum von fünf Jahren mit Software-Updates und Sicherheitspatches versorgen. Nach Möglichkeit länger. Allerdings hängt das von vielen Faktoren ab. Beispielsweise sind wir darauf angewiesen, dass Prozessorhersteller für die von uns verbauten Prozessoren Software-Updates liefern, was über längere Zeiträume nicht immer der Fall ist. Auch die mit Software-Updates verbundenen Kosten spielen eine entscheidende Rolle. Kommt eine unserer Geräteserien an den Punkt, dass eine weitere Betreuung nicht gewährleistet werden kann, besteht bei uns immer die Option auf ein Hardware-Upgrade. Hierbei ermitteln wir den Wert des aktuellen Gerätes, kaufen es zurück und bieten somit die Möglichkeit zu einem Wechsel auf ein aktuelleres SHIFTPHONE.
Auch das ist sehr nachhaltig, da wir alte Geräte wieder vollständig in den Kreislauf integrieren können. Dank der Modularität können wir die einzelnen Bestandteile differenzieren und sämtliche Rohstoffe wieder in die Produktion fließen lassen.
GründerDaily: Ihr schreibt bewusst nicht das Schlagwort „Fairness“ auf eure Banner, stattdessen steht dort „100% Love“. Warum?
Samuel von Shift: Ja, das ist richtig.
Bereits in unserem ersten Wirkungsbericht war es uns wichtig festzuhalten, dass die Herstellung eines zu 100 Prozent fairen Smartphones gegenwärtig noch nicht möglich ist.
Das ist allerdings keine Rechtfertigung dafür, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern bedeutet schlichtweg, dass viel Recherchearbeit, Geduld, Einflussnahme und Kontaktarbeit erforderlich sind, um dem Ziel zu einem fairen Technologieprodukt bestmöglich nachzugehen. Aus unserem aktuellen Wirkungsbericht geht hervor, dass wir in den vergangenen Jahren bereits sehr viel erreicht haben.
Wir definieren uns sehr über den Begriff "Wertschätzung". Es ist uns wichtig, Kunden, Mitarbeitern, Partnern und natürlich auch unserer Umwelt wertschätzend, achtsam und rücksichtsvoll entgegenzutreten.
Das ist gemeint, wenn wir von 100 Prozent LOVE sprechen. Nicht zu vergessen natürlich, das minimalistische und schlichtweg schöne Design unserer Geräte.
GründerDaily: Ihr bezeichnet Shift als „Social Business“. Was ist damit gemeint?
Samuel von Shift: Wir bezeichnen uns als 100-Prozent-Social-Business. Als solches agieren wir nicht profit- beziehungsweise gewinnorientiert, sondern leben Sinnmaximierung. Dazu gehört beispielweise, dass wir uns als Geschäftsführer keine Gewinne auszahlen.
Außerdem betragen unsere Top-Gehälter maximal das Dreifache des geringsten Gehalts. Und diese Top-Gehälter werden nicht von der Geschäftsführung, sondern von Angestellten besetzt, die - beispielsweise aufgrund ihrer familiären Situation - einen höheren Lebensunterhalt bewältigen müssen.
Gewinne werden stattdessen an andere nachhaltige oder soziale Projekte weitergegeben oder fließen in die Neuentwicklungen unserer eigenen Konzeptideen. Unterstreichen lässt sich das beispielsweise mit unserer Mitgliedschaft in der Gemeinwohl-Ökonomie und der angestrebten Gemeinwohlzertifizierung.
GründerDaily: Ihr habt bereits mehrere erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen hinter euch. Weshalb setzt ihr auf Crowdfunding?
Samuel von Shift: Es ist uns sehr wichtig in der Entwicklung unserer Geräte ganz frei zu sein und Entscheidungen in unserem Sinne beziehungsweise dem Interesse unserer Supporter, Crowdfunder, Unterstützer und Vorbesteller zu treffen. Es stimmt, durch Investoren und Geldgeber könnten wir unter Umständen größere Stückzahlen produzieren, mehr Geräte auf Lager haben und dadurch schnellere Lieferzeiten gewährleisten. Aber wir würden uns damit auch Verbindlichkeiten aussetzen, die uns vermutlich nicht immer freie Hand lassen und auch ein Risiko für die Existenz unseres Unternehmens darstellen würden.
Wir haben bereits über 35.000 Geräte verkauft. Diesen vielen Kunden fühlen wir uns verpflichtet. Wir möchten auch zukünftig immer für sie erreichbar sein und unser Unternehmen nicht durch die finanzielle Abhängigkeit von Großinvestoren gefährden.
GründerDaily: Du hast das Unternehmen gemeinsam mit deinem Bruder und deinem Vater gegründet. Wie kam es überhaupt zu dieser Idee?
Samuel von Shift: Eigentlich sind wir eher zufällig in der Smartphone-Entwicklung gelandet. Ursprünglich ging es uns um die Herstellung eines Referenzmonitors für unseren damaligen Kamerakran iCrane. Durch diverse Umwege, Blockaden, Neuanfänge, "ferngesteuerte" Ereignisse sahen wir uns plötzlich mit der Smartphone-Thematik konfrontiert und die Dinge nahmen ihren Lauf.
GründerDaily: Welches sind die Vor- und Nachteile, wenn man mit Familienmitgliedern gründet?
Samuel von Shift: Ein entscheidender Vorteil: Unsere Unterschiedlichkeit. Ein eventueller Nachteil: Unsere Unterschiedlichkeit.
Es ist schon sehr schön, dass wir unterschiedlich begabt sind und uns dadurch so hervorragend ergänzen können. Aber Unterschiede können natürlich auch zu Meinungsverschiedenheiten oder Streitpunkten führen. Doch als Brüder sind wir im Wesentlichen darin erprobt, diese zielführend auszufechten.
GründerDaily: Welches waren die größten Herausforderungen, die ihr bisher bewältigen musstet?
Samuel von Shift: Zu Beginn stellt fast jede Situation eine Herausforderung dar. An das Bewegen großer finanzieller Budgets, das Einstellen der passenden Mitarbeiter, das Auffinden der richtigen Partner – insbesondere im asiatischen Raum – mussten wir uns langsam herantasten.
Eine echte Herausforderung stellte ein Ereignis im Jahr 2012 dar. Pläne und Gelder für den ersten Produktionszyklus des SHIFT7, das damals erste SHIFTPHONE, waren gefixt. Carsten reiste nach der Abschlussphase des Crowdfunding-Projekts und nachdem die Verträge mit der Produktionsfirma unterzeichnet waren, nach China. Eigentlich nur noch für eine finale Prototypabnahme und um die erste Produktion zu begleiten.
Als Carsten dann in China war, meinte der Partner, es tue ihm leid, doch ein größerer Auftrag sei reingekommen. Er habe kein Interesse länger für uns und in nur so geringen Stückzahlen zu produzieren.
Verständlicherweise war Carsten damals ziemlich frustriert und stand kurz davor, das Projekt SHIFT an den Nagel zu hängen. Er hatte vier Tage Zeit einen neuen Partner zu finden, denn für dann war sein Rückflug nach Deutschland gebucht. Eigentlich ein aussichtsloses Unterfangen.
Über sehr sonderbare und außergewöhnliche Zufälle - wir sprechen hier gerne von einem echten Wunder - wendete sich doch noch alles zum Guten und wir fanden in der Kürze der Zeit einen neuen Partner für die Produktion unserer ersten Geräte.
GründerDaily: Wie geht es weiter mit Shift? Welche Ziele habt ihr euch für die kommenden Jahre gesetzt?
Samuel von Shift: Aktuell fiebern wir der Veröffentlichung des SHIFT6mq entgegen, das wir Ende 2019/Anfang 2020 am Markt etablieren wollen. Es wird das erste Qualcomm-SHIFTPHONE sein und liefert schon jetzt eine entscheidende Grundlage für unser kommendes SHIFTmu-Projekt.
Das SHIFTmu wird, als hochentwickeltes Smartphone, das Herzstück des persönlichen digitalen Umfelds seines Besitzers darstellen. Lange Akkulaufzeiten, modernste Funkstandards, leistungsstärkste Prozessoren und nahtlos einsetzbare Betriebssysteme liefern die Substanz eines vollwertigen Rechners. Ergänzt wird das Smartphone um Komponenten wie Tablet-Screen, Keyboard oder Monitor, die mit dem Smartphone über Funk oder einen Hub kommunizieren können.
Wir gehen davon aus, dass das Smartphone zukünftig nicht mehr nur die Erreichbarkeit unterwegs gewährleisten, sondern auch die produktive Desktop-Umgebung, das abendliche Tablet-Couch-Feeling und andere digitale Bereiche unseres Alltags steuern können wird.
Wir nennen das Ganze ‚Universal Computing‘ und schaffen mit dem SHIFTmu das erste Universal-Computing-Device.
GründerDaily: Samuel, danke für dieses Gespräch. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg!
Keyfacts über Shift
- Gegründet im Jahr: 2014
- Firmensitz in: Falkenberg
- Unser aktuelles Team besteht aus: 20 Mitarbeitern
- Die erste Finanzierung erfolgte durch/über: Crowdfunding (startnext)
- Besonders geholfen haben mir/uns bisher: Die treue Community.
- Besonders wichtig im Arbeitsalltag sind für mich/ uns folgende:
- Menschen: Unsere Mitarbeiter in China und in Deutschland
- Tools: Diverse Kommunikations- und Kollaborationstools.