Scheinselbstständigkeit: Definition, Kriterien, Folgen und Schutz

Die Scheinselbstständigkeit kann eine große Gefahr für Gründer sein: Der Status des Freiberuflers wird aberkannt und der Arbeitgeber muss Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend zahlen, was in den fünfstelligen Bereich gehen kann. Die Kontrolle freier Mitarbeiter oder Freiberufler mit Blick auf Scheinselbstständigkeit hat in den letzten Jahren stark zugenommen.

Wichtige Kriterien, an denen Sie Freiberufler bzw. freie Mitarbeiter und Arbeitnehmer unterscheiden können, sind beispielsweise die Weisungsabhängigkeit oder eine feste Eingliederung in die betriebliche Organisation.

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Chefredakteur: René Klein
Für-Gründer.de Redaktion

René Klein verantwortet als Chefredakteur seit über 10 Jahren die Inhalte auf dem Portal und aller Publikationen von Für-Gründer.de. Er ist regelmäßig Gesprächspartner in anderen Medien und verfasst zahlreiche externe Fachbeiträge zu Gründungsthemen. Vor seiner Zeit als Chefredakteur und Mitgründer von Für-Gründer.de hat er börsennotierte Unternehmen im Bereich Finanzmarktkommunikation beraten.

  | Scheinselbstständigkeit: Was ist das und wer beurteilt das?

Scheinselbstständigkeit ist der Begriff für ein Arbeitsverhältnis, bei dem ein vertraglich als selbstständig betitelter Auftragnehmer nach objektiven Kriterien ein Arbeitnehmer ist und als solcher versicherungspflichtig angemeldet werden müsste. Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer kann das die Existenzgrundlage kosten, wenn eine der entsprechenden Stellen die Scheinselbstständigkeit aufdeckt.

Eine Prüfung der Scheinselbstständigkeit kann vom Deutschen Rentenversicherung Bund, einem Arbeitsgericht, dem Finanzamt oder Sozialversicherungen durchgeführt werden. Auch ein Auftragnehmer oder ein Auftraggeber können eine Prüfung der Scheinselbstständigkeit einfordern, beispielsweise wenn ein Auftragnehmer Kündigungsschutz einklagen oder ein Auftraggeber ein Vertragsverhältnis beenden möchte. In vielen Fällen sind aber beide Parteien unbeteiligt bei der Veranlassung einer Prüfung auf Scheinselbstständigkeit und eine dritte Instanz, bspw. die Krankenkasse, fordert eine Prüfung der Scheinselbstständigkeit ein, weil sie bspw. Beiträge nachfordern möchte.

  | Scheinselbstständigkeit: Wen kann es treffen?

Von Scheinselbstständigkeit betroffen sein können alle Selbstständigen, die Auftragsarbeiten machen. Insbesondere betroffen sind davon Freiberufler oder freie Mitarbeiter. Freie Mitarbeiter können im Gegensatz zum Freiberufler dabei auch ein Vertragsverhältnis mit dem Auftraggeber haben, das aber kein Arbeitsverhältnis darstellt. Sie haben außerdem i.d.R. ein Gewerbe angemeldet, wohingegen Freiberufler kein Gewerbe anmelden und keine Gewerbesteuer zahlen müssen.

Beispiele für betroffene Berufsbilder und Branchen, in denen Scheinselbstständigkeit vorkommen kann, sind:

  • Berater
  • Beschäftigte der Film- und Fernsehindustrie
  • Grafikdesigner, Texter
  • Handwerker, Baubranche
  • Honorarärzte, Krankenschwestern/Pflegepersonal, Heilberufler
  • Immobilienmakler
  • Kurierfahrer
  • Lehrkräfte (Dozenten, Coaches)
  • Programmierer
  • Reinigungskräfte
  • Speditionsgewerbe (Fahrer, Logistik)

  | So funktioniert die Prüfung von Scheinselbstständigkeit

Bei einer Prüfung der Scheinselbstständigkeit werden sowohl die geschlossenen Verträge als auch die tatsächlichen Verhältnisse und Bedingungen im Berufsalltag geprüft. Die Prüfer müssen hierbei Beweise für die Scheinselbstständigkeit finden und diese nachweisen. Grundsätzlich liegt Scheinselbstständigkeit vor, wenn ein Selbstständiger...

  • selbst regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigt und
  • dauerhaft für einen einzigen Auftraggeber tätig ist (mehr als ca. 83 %) sowie
  • dessen Aufträge ihm 5/6 seines Umsatzes liefern

Hiermit würde diese Beschäftigung sein unternehmerisches Risiko beeinflussen. Außerdem ist die Weisungsbefugnis ein Kriterium für Scheinselbstständigkeit. Diese kann vorliegen, wenn der Selbstständige in einem Arbeitsumfeld arbeitet, in dem der Auftraggeber Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten hat, die die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Selbstständigen einschränken.

  | Test: Scheinselbstständigkeit ja oder nein?

Wenn Sie also überprüfen wollen, ob Sie selbst oder einer Ihrer Auftragnehmer in die Zone der Scheinselbstständigkeit fällt, sollten Sie sich folgende Fragen stellen:

  • Ist der Auftragnehmer frei von Weisungen des Auftraggebers?
  • Kann der Auftragnehmer seine Arbeitszeiten selbst bestimmen?
  • Grenzen sich die Aufgaben des Auftragnehmers von denen der Festangestellten ab?
  • Ist der Auftragnehmer frei von regelmäßigen Berichten über Leistungen?
  • Ist der Arbeitsplatz für den Auftragnehmer (überwiegend) frei wählbar?
  • Ist der Auftragnehmer frei von Hard- und Software, die eine Kontrolle seitens des Auftraggebers zulassen?
  • Tritt der Auftragnehmer in der Außenwelt als Selbstständiger auf?
  • Nutzt der Auftragnehmer eigenes Briefpapier, Visitenkarten mit dem Namen seines eigenen Unternehmens etc.?
  • Ist der Auftragnehmer in der Kundenakquise und Werbung für sein eigenes Unternehmen aktiv?

Wenn Sie diese Fragen überwiegend mit ja beantworten können, fällt Ihr Auftragnehmer eher nicht in den Bereich der Scheinselbstständigkeit.

  | Folgen der Scheinselbstständigkeit für den Auftraggeber

Wenn eine Scheinselbstständigkeit vorliegt und nachgewiesen werden kann, müssen sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer mit rechtlichen und finanziellen Konsequenzen rechnen:

  • Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer für die Dauer der Zusammenarbeit
  • Der Freelancer wird Angestellter (inkl. Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch sowie Lohnfortzahlungsverpflichtung)
  • Rechtlicher Ärger wegen Steuerhinterziehung mit allen strafrechtlichen Folgen, wenn Vorsatz nachgewiesen wird

Im Falle des Auftraggebers gelten bei Scheinselbstständigkeit rückwirkend alle Haftungs- und Zahlungsverpflichtungen wie für normale Angestellte. Das bedeutet, dass der Auftraggeber die Beiträge zur Sozialversicherung für bis zu vier Jahre rückwirkend nachzahlen muss. Dazu zählen auch Säumniszuschläge, wenn nicht innerhalb von einem Monat nach Arbeitsbeginn ein Antrag auf Statusfeststellung seitens einer der beiden Parteien ein positives Ergebnis hervorbringt. Ansonsten tritt die Sozialversicherungspflicht erst dann ein, wenn eine unanfechtbare Entscheidung vorliegt.

Wird Scheinselbstständigkeit festgestellt, fangen Träger der Sozialversicherung und die Finanzämter an zu rechnen. Das, was der Freelancer verdient hat, wird als sein Nettoverdienst angesetzt. Daraus ergeben sich Nachzahlungen für Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge. Das Finanzamt kann im Falle von Scheinselbstständigkeit also Lohnsteuernachzahlungen rückwirkend einfordern. Hier gilt ebenfalls die Regelung von bis zu vier Jahren rückwirkend. Wird eine vorsätzliche Scheinselbstständigkeit nachgewiesen, sind Bußgelder, Gefängnisstrafen und Rückzahlungsforderungen für bis zu 30 Jahre möglich.

Auch die Ausweisung der Umsatzsteuer auf den Rechnungen des Scheinselbstständigen wird unwirksam, d.h., dass der erfolgte Vorsteuerabzug als unzulässig gilt und die abgezogenen Vorsteuerbeträge berichtigt und zurückgezahlt werden müssen. Ab der Feststellung der Scheinselbstständigkeit gelten für den bisherigen Auftragnehmer alle Rechte, die die Mitarbeiter des Unternehmens besitzen.

  | Folgen der Scheinselbstständigkeit für den Auftragnehmer

Auch der Auftragnehmer hat mit Konsequenzen der Scheinselbstständigkeit zu rechnen. Im ersten Schritt ist seine Selbstständigkeit beendet und er erhält nachträglich zum Beginn des Beschäftigungsverhältnisses den Status des Arbeitnehmers. Hierdurch erhält er zahlreiche Rechte, beispielsweise Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch oder Lohnfortzahlungsverpflichtung im Krankheitsfall. Außerdem erhält er im Falle von Scheinselbstständigkeit Nettogehaltszahlungen in der Höhe des bisherigen Honorars. Das heißt aber zugleich, dass im Falle eines freien Mitarbeiters das Gewerbe beim Gewerbeamt abgemeldet werden muss und die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer zu diesem Zeitpunkt endet.

Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer werden rechtlich als Gesamtschuldner bei Scheinselbstständigkeit angesehen. Der bis dato Auftraggeber kann daher die Arbeitnehmeranteile an den Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen drei Monate von seinem künftigen Gehalt abziehen. Je nach Honorar bzw. dann Nettogehalt ergibt sich die Beitragshöhe.

Bisher ausgestellte Rechnungen müssen vom Auftragnehmer bei Feststellung einer Scheinselbstständigkeit berichtigt werden. So muss die ausgewiesene Umsatzsteuer als ungültig erklärt werden. Der Vorsteuerabzug darf nicht durchgeführt worden sein oder die Vorsteuer muss an das Finanzamt zurückgezahlt werden.

  | Fazit: Scheinselbstständigkeit vermeiden: 5 Tipps

Um sich vor den Konsequenzen der Scheinselbstständigkeit zu schützen, geben wir Ihnen folgende fünf Tipps mit auf den Weg:

1. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Wenn Sie auf dieser Seite sind, haben Sie den ersten Schritt schon getan: Informieren Sie sich über Scheinselbstständigkeit! Denn auch bei Scheinselbstständigkeit gilt, dass die Unwissenheit im Straffall nicht schützt. Als Selbstständiger haben Sie die Pflicht, sich das nötige Wissen zu beschaffen. Wenn Sie sich nicht sicher sind, finden Sie in unserer Dienstleister- und Beraterbörse einen Anwalt oder Berater, der Ihnen bei Ihren spezifischen Fragen weiterhilft.

2. Den Dienstvertrag sorgfältig prüfen
Die oben genannten Kriterien sollten Sie mit Ihrem Arbeitsalltag und Ihrem Dienstvertrag abgleichen. Insbesondere sollten Sie prüfen, ob Sie Ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit sowie Ihr unternehmerisches Risiko noch selbst tragen, wenn Sie den Vertrag unterzeichnen. Im Vertrag sollte ein Hinweis darauf enthalten sein, dass keinerlei Weisungspflicht für den Freelancer besteht. Außerdem kann dort auch festgehalten werden, dass der Auftragnehmer regelmäßig Nachweise über weitere Aufträge und eine selbstständige Versicherung abliefert. Folgende Aspekte Ihres Dienstvertrages können Sie vor Scheinselbstständigkeit schützen:

  • Der Auftragnehmer ist für die Abführung gesetzlicher Abgaben (Steuern, Sozialversicherung) verantwortlich.
  • Das genaue Honorar für genaue Tätigkeiten.
  • Der Auftragnehmer darf Aufträge ablehnen und die anderer Kunden annehmen.
  • Der Auftragnehmer darf Hilfskräfte (eigene Mitarbeiter) einsetzen.
  • Der Auftragnehmer bringt nicht mehr als die Hälfte seiner Arbeitskapazität auf.
  • Höhe der Nutzungsgebühr für Arbeitsmittel festlegen.

3. Hard- und Software bzw. Räumlichkeiten trennen
Die sogenannte Entscheidungsfreiheit wird auch dadurch vergrößert, dass verschiedene Software-Programme für die Auftragsvergabe, die Zeit- und Aufwandserfassung oder die Rechnungstellung genutzt werden. Auch, wenn Sie einen (zusätzlichen) eigenen Arbeitsplatz haben, kann dies die unternehmerischen Freiheiten unterstreichen und vor Scheinselbstständigkeit schützen. Alternativ können Sie den Auftragnehmer auch seine Arbeitsmittel selbst mitbringen lassen.

4. Meldung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
Es empfiehlt sich, innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn einer Tätigkeit einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die ersten 3 Jahre der Selbstständigkeit bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu beantragen. Beide Seiten können dort nämlich im Streitfall eine Klärung der Statusabfrage beantragen.

5. Klare Kommunikation zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
Um Missverständnisse oder Probleme bei Grenzfällen zu vermeiden, können Sie im Zweifel Ihren Auftraggeber bzw. Auftragnehmer auf das Thema Scheinselbstständigkeit hinweisen. Beide Seiten tragen gleichermaßen Verantwortung im Falle von Scheinselbstständigkeit. Als Auftragnehmer schützen Sie sich durch klare Aussagen bzgl. Urlaubsplanungen und Aufträgen. Auch durch das Corporate Design und bspw. eigene Arbeitskleidung grenzen Sie sich klar ab. Zum Thema Kommunikation sollte auch gehören, dass Sie diese dokumentieren. Der Auftragnehmer muss derjenige sein, der Dinge vorschlägt und empfiehlt.

Chefredakteur: René Klein

René Klein verantwortet als Chefredakteur seit über 10 Jahren die Inhalte auf dem Portal und aller Publikationen von Für-Gründer.de. Er ist regelmäßig Gesprächspartner in anderen Medien und verfasst zahlreiche externe Fachbeiträge zu Gründungsthemen. Vor seiner Zeit als Chefredakteur und Mitgründer von Für-Gründer.de hat er börsennotierte Unternehmen im Bereich Finanzmarktkommunikation beraten.